Kein Butterbrot am Todestreifen

■ Im Gedenken an die Mauer scheiden sich auf einer Versammlung zum Mauermahnmal Bernauerstraße die Geister heftig wie nie

Nein, nein, um den Sophienfriedhof sollte es diesmal nicht gehen, versicherte Jörg Schwarz von der Betroffenenvertretung Rosenthaler Vorstadt. Zu sehr hatte in den vergangenen Wochen der Abriß von Segmenten der Mauer die Gemüter erhitzt. Diesmal sollte nicht darum gestritten werden, ob die Massengräber der während des Zweiten Weltkriegs im S-Bahn- Schacht jämmerlich Ertrunkenen nun noch existierten und damit das Beseitigen von mittlerweile rar gewordenen Mauerresten gerechtfertigt war.

Über die Brache in der Stadtlandschaft, die Belebung eines Ortes, der fast acht Jahre nach dem Mauerfall weder in der Gegenwart angekommen noch in der Lage ist, seine Geschichtsträchtigkeit nachhaltig zu vermitteln, und über Konzepte galt es zu reden. „Wir wollen keine Musealisierung“, meinte die Betroffenenvertretung. „Man muß die Mauer als Prozeß begreifen“, sprach geradezu pathetisch Mittes Baustadträtin Karin Baumert.

In der Konsequenz landeten jene, die der Einladung der Betroffenenvertretung am Donnerstag abend zu einem Rundgang über den Mauerstreifen entlang der Bernauer Straße und danach zum Disput in die Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Schule gefolgt waren, allerdings doch wieder auf dem Friedhof der Sophiengemeinde. Nur einen Katzensprung entfernt von jenem Tunnel, durch den der spätere Astronaut und einstige Fluchthelfer Reinhard Furrer agierte, und in der Nähe jener Stelle, an der der DDR-Grenzsoldat Egon Schultz hinterrücks erschossen worden war, gerieten nicht bewältigte vergangene und künftige Geschichte heftig aneinander.

Ein durchgehender Grünzug vom Nordbahnhof bis zum Mauerpark nebst Fußweg, soweit einst der Grenzstreifen reichte, darüber hinaus Spielflächen und Bolzplätze im ohnehin mit Grün unterversorgten Revier, das wäre ein Modell, mit dem sich sowohl Bezirk als auch ein Gros der Betroffenen der Rosenthaler Vorstadt anfreunden könnten.

Ingrid Bergk, „die nach sieben Jahren harten Kampfes“ ihr Familienerbe mit dem Rückkauf „ihrer Mauergrundstücke“ antreten konnte, machte deutlich, daß sehr viele Eigentümer eine stadtverträgliche Lösung wünschten. „Viel Grün und Behindertenwohnungen wären eine gute Idee.“ Doch zumindest an diesem Abend hatte nicht nur die rüstige alte Dame ihre Rechnung ohne den Leiter der Oberen Denkmalschutzbehörde, Helmut Engel, gemacht. Der Vertreter von Umweltsenator Peter Strieder warnte davor, den Grenzstreifen in die Kategorie einer Idylle zu erheben. Wer auf dem Gelände baue, würde dafür sorgen, daß von der Geschichtsträchtigkeit des Ortes bald nichts mehr zu erkennen sei. Leider hatten die Mauer-muß-weg-Forderungen auch des Senats unmittelbar nach der Wende so durchschlagenden Erfolg, daß heute nur noch wenige Details und Mauer- oder Hinterlandmauerreste an den Verlauf des ehemaligen Grenzstreifens erinnern können. Das Verständnis, so Engel, habe sich jedoch geändert. „Es bedarf keiner künstlichen Überhöhung. Die originale Substanz des Grenzstreifens ist Gedenkort genug.“ Deshalb müsse alles erhalten werden: „Es kann nicht sein, daß da, wo früher auf Menschen geschossen wurde, plötzlich Butterstullen ausgepackt und Bockwürste verkauft werden.“ Die 73jährige „Frau Sanitätsrat“ und betroffene Anwohnerin Marianne Schöfisch zog daraus einen klaren Schluß: „Ihr müßt die Wohnhäuser wieder aufbauen und deren Eingänge und Fenster zumauern, Stacheldraht legen und die spanischen Reiter aufstellen, denn so war die Mauer wirklich.“ Kathi Seefeld