Öl und heißer Sand

Abenteuerurlaub in Beduinenzelten mit schickem Badezimmer und der Wüste als riesigem Sandkasten. Dubai – wo Verschwendung Politik ist  ■ Von Björn Blaschke

Die gerade gelandeten Passagiere warten noch auf ihr Gepäck oder stehen schon in einer der langen Schlangen, die durch die Paßkontrolle führen. Ohne Hektik. Die Reisenden werden unterhalten – durch Clowns. Einer schreitet auf Stelzen umher und verschenkt Blumen, ein anderer schlägt Purzelbäume oder macht Flicflacs. Über dem Ausgang hängt ein riesiges Schild: „Herzlich willkommen in Dubai“.

Einige junge Deutsche, die in Dubai arbeiten, wissen, wo sie sich von dem fast achtstündigen Flug erholen können: Vom Flughafen aus fahren sie direkt ins „al-Nasr Leisure Land“, ein Viertel, in dem sich ein Teegarten, zwei Discotheken und verschiedene Restaurants befinden. Ihr Ziel: eine der beiden Discos. Am Eingang stehen zwei sichtlich durchtrainierte Herren im schwarzen Anzug. Türsteher. Freundlich wünschen sie einen schönen Abend und viel Vergnügen in ihrem Haus. Der Eintritt kostet keinen Pfennig. Dafür gibt es ein etwa 15 Meter langes Heißkalt- Buffet, gedeckt mit den Köstlichkeiten des Orients. „Bediene dich!“ meint einer der Deutschen, „das ist alles umsonst.“ Irgendein Scheich gönne sich die Disco mehr oder weniger als Privatvergnügen. Lediglich für die Getränke müsse man zahlen – frau donnerstags nur die Hälfte, dann ist nämlich Ladies-Night. Ein Bier kostet ungefähr soviel wie in Deutschland; drei Bier soviel wie eine Tankfüllung Benzin in Dubai.

Seit vor fast dreißig Jahren, am 6. Juni 1966, vor der Küste Dubais das erste Ölfeld entdeckt wurde, ist das schwarze Gold die wichtigste Einnahmequelle des Emirats. Über das herrscht bereits seit 1833 die Familie der al-Maktoum – unangefochten. Die al-Maktoum haben mit ihren Untertanen eine Art „Gesellschaftsvertrag“ geschlossen, so Eric Czotscher, Korrespondent des Bundesamts für Außenwirtschaftsinformationen, kurz BfAI, in Dubai. Die Vereinbarung sehe so aus, daß der Herrscherfamilie das Erdöl gehört und sie sich aus den Gewinnen ihren Teil abzweigt. Den größten Teil investierten sie jedoch in die Infrastruktur, die den Kaufleuten des Emirats kostenlos zur Verfügung stehe. Fast die Hälfte der auf etwa 6 Milliarden Barrel geschätzten Ölvorkommen, die vor dreißig Jahren entdeckt wurden, sind heute jedoch bereits abgepumpt; spätestens in zwanzig Jahren, so schätzen Experten, werden die Quellen erschöpft sein.

Die Emire haben dieses Problem schon früh erkannt. Sie suchten deshalb nach Konzepten, die ihrem Land auch über die Zeit der sprudelnden Ölquellen hinaus das Überleben sichern. Nach allen Regeln der Marketingkunst wurden Investoren angelockt: Die Wasser- und Strompreise wurden künstlich niedrig gehalten, die Infrastruktur wurde ausgebaut, und kein ausländischer Kapitalgeber mußte Zölle oder Steuern zahlen. Und tatsächlich: Fabriken wurden gebaut, Banken zogen nach Dubai.

Die Steuerfreiheit, die die Herrscher zu Beginn des Ölbooms in Dubai ausländischen Firmen eingeräumt hatten, wurde in den vergangenen eineinhalb Jahren nach und nach aufgehoben; sie wollten ihr Land mit diesem „Werbegeschenk“ für den internationalen Markt attraktiv machen. Steuerfreiheit – zumindest in den ersten 15 Jahren – herrscht nur noch in der 100 Quadratkilometer großen „Jebel Ali“-Freihandelszone, die 1985 eingerichtet wurde. Nahezu tausend ausländische Firmen produzieren dort ihre Waren und können sie gleichzeitig kostengünstig umschlagen. Denn Jebel Ali liegt, von Containerschiffen erreichbar, direkt am Meer. Nach Bedarf könnte die Freihandelszone beliebig vergrößert werden, weil sie sich in die Wüste hineinzieht, so betont Sultan Bin Sulayem, der Direktor von Jebel Ali. Bis zur Jahrtausendwende werden sich, so der Sultan, in der Freihandelszone Jebel Ali zweitausend Firmen ansiedeln, die unter anderem auch High-Tech- Waren produzieren.

Wie die meisten Großstädte auf der Welt ist Dubai, das etwa 650.000 Einwohner zählt, keine geschlossene Stadt. Wie Pilze schießen die Häuser scheinbar willkürlich dort, wo es ihren Bauherren gerade gefällt, aus dem Boden. Dazwischen ziehen sich häufig Hunderte von Quadratmetern freie, unbebaute Flächen dahin. Auf das World Trade Center führt eine sechsspurige Allee zu, die von dreißiggeschossigen Hochhäusern gesäumt wird. Dahinter eine steingewordene künstlich-klimatisierte Exzentrik – außer heißem Sand: nichts. Nur die Altstadt Dubais ist über viele Jahrhunderte gewachsen. Sie liegt direkt an einem Meeresarm, dem Dubai Creek. Hunderte von Dhaus, den fast altertümlich wirkenden Segelkähnen der Golfaraber, ankern hier: eine touristische Sehenswürdigkeit, die es zu erhalten gilt. Fördern will Patrick MacDonald vom staatlichen Dubai Promotion Board dagegen die alljährlich im April stattfindenden Shopping-Festivals, die zeigen, daß Dubai eine internationale Konsummetropole ist. Für MacDonald ist es ein Ziel, das Emirat auch für den Tourismus zu erschließen. Schon heute bereisen jährlich etwa 30.000 deutsche Touristen das Land am Golf. Die meisten von ihnen suchen eines: das Abenteuer. Walter, ein 37jähriger Mann aus Köln, war bereits viermal in Dubai, und eigens für eine Off-road-Tour ist der Deutsche noch einmal wiedergekommen. Fünf Tage lang will er mit einigen Freunden in zwei Geländewagen durch die Ausläufer der Rub al- Khali, eine der größten Sandwüsten der Welt, rasen. Das Reizvolle sei, die zum Teil einhundert Meter hohen Sanddünen mit dem Auto zu überqueren, ohne steckenzubleiben. Sand, Sand und nichts als Sand – stundenlang. Zwischendurch: eine Falknerei und auf Einladung von Wüstennomaden Kamelmilch.

Die Wüste: ein zivilisiertes Abenteuer und das Gefühl, spielen zu können – à la Gulliver als geschrumpfter Erwachsener in einem gigantomanischen Sandkasten.

Die Wüste als Erholungsort – ein Zukunftskonzept, auf das auch die deutsche Firma Wenzel in Hamburg setzt. In ihrem Auftrag arbeitet der Architekt Tony Barnard in Dubai an verschiedenen Projekten. Man gehe in Dubai davon aus, daß Touristen in einem Kurzurlaub drei Dinge miteinander verbinden wollen: drei Tage Erholung, drei Tage Abenteuer und drei Tage Konsum. Entsprechend hat Tony Barnard für das Emirat Dubai eine zukunftsorientierte Urlaubsanlage entworfen, die mitten in der Wüste entstehen soll: Die Erholungsanlage in der Wüste, die als Basislager für Tagestrips in die hohen Sanddünen dienen soll, wird aus originalgetreu nachgebauten Beduinenzelten bestehen. Die werden wie herkömmliche Apartments mit Badezimmer und Küche ausgestattet sein. In der Mitte dieser Zelt-Apartment-Anlage wird ein Zentralzelt errichtet, in dem die Touristen alle jene Vorzüge genießen können, die sie aus großen Stadthotels kennen.

Fast scheint es, als müßten derartige Konzepte schon bald greifen, denn in unmittelbarer Nähe der Strände von Dubai ist nur noch wenig Bauland für Hotels frei. Doch da, wo es fehlt, schaffen sich die Dubaier das Land selbst: Zur einen Hälfte auf natürlichem Boden, zur anderen Hälfte auf einer künstlichen Insel befindet sich für etwa zweieinhalb Milliarden Dollar gerade eines der größten Hotels der Region im Bau – die „Chicago Beach Hotel“-Anlage. Rund 600 Betten sollen in dem treppenförmigen Gebäude untergebracht werden, ein Aquapark und ein eigener Yachthafen. Das Gebäude soll all das vereinen, was Dubai seinen Besuchern auch sonst bietet, wenn sie den obligatorischen Wüstentrip hinter sich gebracht haben: eine arabische Nacht im Hotel Fourty Grants, die von vorzüglichen Köchen aus dem Libanon gestaltet wird; Schlittschuhlaufen in einer überdachten Eishalle, die der Niederlassung einer anderen großen Hotelkette gehört; oder einfach nur ein ruhiger Nachmittag am Privatstrand.

Wer sich derartig luxuriöse Angebote nicht leisten kann oder will, dem wird in der Nähe der Baustelle der „Chicago Beach Hotel“- Anlage ein öffentlicher Sandstrand geboten. Ein hier angebrachtes Schild läßt erahnen, wer den Strand bevorzugt nutzt: In roter Farbe sind auf der Tafel kyrillische Buchstaben geschrieben. Ein syrischer Gastarbeiter, der sich als Schwimmeister verdingt, weiß, was sie bedeuten: „1. Müll wegschmeißen verboten; 2. Schlafen am Strand verboten und 3. Nacktbaden verboten“. Drei Regeln also, die zwar für alle Badenden gelten, aber eigentlich nur von Russen nicht beherzigt würden.

„Wasserstoffblondes Haar – daran sind die Frauen zu erkennen und an den Goldketten ihre Männer“, so der Schwimmeister aus Syrien weiter. Mit ihren riesigen Shopping-Festivals, die alljährlich im April stattfinden, hätten die Dubaier die reichen Touristen und die großen Geschäftsleute aus dem Westen anlocken wollen. Doch gekommen seien die kleinen, armen Russen – und mit ihnen die Kriminalität.

Um ihr Land langfristig vom Öl unabhängig zu machen, also Investoren und Touristen ins Land zu locken, mußten die konservativen Emire von Dubai ihr Land zum offensten Golfstaat erklären. Anders als in Abu Dhabi, wo getreu den Buchstaben des Korans ein striktes Alkoholverbot herrscht, wird in den Hotelbars von Dubai deshalb jedes erdenkliche berauschende Getränk ausgeschenkt, schwingen Go-Go-Girls ihre nackten Beine, dürfen nichtarabische Frauen alleine in das Land einreisen. Bisher sind das vor allem Russinnen – und die gehen in Dubai mehr oder weniger offen dem horizontalen Gewerbe nach. Zu Protesten gegen diese Offenheit ist es bisher nicht gekommen. Streng gläubigen oder gar radikalen Muslimen konnte die politische Führung Dubais immer rechtzeitig den sprichwörtlichen „Wind aus den Segeln“ nehmen.

Neben den riesigen Shopping- Mails, die neben Supermärkten auch Bistros und Restaurants, Sportbekleidungs-, Teppich- und Musikgeschäfte bieten, ist vor allem der Bazar der Tummelplatz der Russen in Dubai. In seinen engen Gassen, den Suks, dort, wo Dutzende von Händlern Gold gleich kiloweise anbieten und Hunderte von Kleinhändlern alle Waren der Welt zu Dumpingpreisen verkaufen, vom Plastikweihnachtsbaum über Schweizer Uhren, die genauso gefälscht sind wie das Yves-Saint-Laurent-Parfum, bis hin zu Videorecordern und Motorrollern, dort feilschen die Russen um jeden Dollar. Denn diese grünen Scheine sind es, die sie, aus Moskau oder Kiew mit einem Touristenflug für 100 US-Dollar kommend, gleich bündelweise ins Land bringen. „In Europa“, so meint ein Goldhändler, „fürchtet ihr immer ihre heimliche Stärke; hier wäscht sie ganz offen ihr Geld – die Russenmafia.“

Von all dem unerreichbar scheint der Golfclub Dubais zu sein. Die 18 tiefgrünen Grasbahnen werden täglich mit mehreren Millionen Litern Wasser getränkt; das Clubhaus sieht aus wie eine riesige Dhau: das Dach – die Segel; die Barterrasse – das Heck. Auf dem Dubai Creek segeln derweil echte Dhaus zwischen Privatyachten mit den Ausmaßen von Passagierdampfern umher. Gelangweilt schauen einige Dubaier, die die traditionelle Dischdascha, ein langes weißes Hemd, tragen, dem Treiben zu, in der einen Hand ein Glas Perrier, in der anderen ein Handy. „Vive la décadence orientale!“

Ortswechsel: Flughafen Dubai – Duty-free-Zone: Gastarbeiter aus Indien und Pakistan verkaufen den Reisenden die Konsumgüter der Welt: Calvin-Klein-Parfum, Golfschläger, Haute Couture zu Niedrigstpreisen. Dazwischen Russen, die vollgepackte Gepäckwagen vor sich herschieben – dawai, dawai! Der größte Verkaufsstand in der Mitte der Halle: ein runder Tresen, vollgepackt mit Gold. Irgendwo auf einem Podest ein deutscher Luxuswagen, der Gewinn aus einer Verlosung, die die Flughafenleitung zweimal in der Woche durchführt, tausend Lose für 132 Dollar das Stück.

Am Flughafen vereinen sich alle Erlebnisse, die man im Emirat Dubai haben kann; hier beginnt das Erlebnis Dubai, und hier endet es. Die Verschwendung ist auf dem Flughafen wie in ganz Dubai Politik, denn langfristig soll sie gewinnbringend sein. Kritik an dieser Politik kommt niemandem über die Lippen, nicht den Touristen und auch nicht den Angestellten. Die sind dem Herrscherhaus der al- Maktoum ergeben, glauben an deren Pläne. An einem Modell zeigt der Flughafendirektor Muhedin min Hindi die Pläne zur Erweiterung des Airports: Die Duty-free- Zone soll vergrößert werden und ein 100-Zimmer-Hotel gebaut werden mit integriertem Geschäftszentrum, Konferenzhallen, einem Gesundheitszentrum und einer Restaurantzeile, die die verschiedensten Küchen der Welt konzentrieren wird. Der Flughafen Dubai wird selbst ein Zentrum des internationalen Tourismus werden und für Geschäftsleute sicherlich ein unschlagbares Märchen aus Tausendundeiner Nacht.