Freiwillige Selbstkontrolle

■ Die in Berlin geplante Solaranlagenverordnung tritt womöglich nie in Kraft

Im Herbst 1995 beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus, die Vorgaben des Weltklimagipfels von Rio in handfeste Politik umzusetzen: Durch eine Rechtsverordnung sollte die Warmwassergewinnung mit Solarenergie von der Ausnahme zur Regel erhoben werden. Es folgten erwartungsgemäß Proteste aus Wirtschaftskreisen, insbesondere der Wohnungsbauunternehmen sowie der Industrie- und Handelskammer (IHK). Der Senat machte – jedenfalls nach Meinung vieler Solaraktivisten – seinen ersten Fehler und ließ sich auf Verhandlungen ein.

Die Verordnung sieht einen Anteil von 60 Prozent Solarenergie bei der Warmwassererzeugung vor – eine Marge, die selbst Optimisten für den mehrstöckigen Wohnungs- oder Gewerbebau für schwer erreichbar halten, weshalb dieser Wert bei erwiesener „wirtschaftlicher Unzumutbarkeit“ entsprechend abgesenkt werden kann. Wenn Anlagen zur Kraft- Wärme-Kopplung installiert werden, sieht die Verordnung nur noch 30 Prozent solaren Pflichtanteil vor, und wer sein Haus im „Niedrigenergiestandard“ errichtet, braucht überhaupt keine Solarzellen zu montieren. Vor allem aber – und das dürfte der Pferdefuß des Regelwerks werden – gilt die Verpflichtung nur bei Gebäuden mit zentraler Warmwassergewinnung. Wer sie umgehen wollte, könnte also auf Gasthermen – ein energiepolitischer Rückschritt – oder sogar Elektroboiler und Durchlauferhitzer zurückgreifen. Letzteres wäre unter ökologischen Kriterien kein Rückschritt mehr, sondern eine mittlere Katastrophe. Entsprechend verursachte die Ankündigung von Berlins Umweltsenator Peter Strieder (SPD), die Aufhebung von „behindernden Regelungen“ für derlei Geräte zu prüfen, Unbehagen, denn damit könnte gerade die Solaranlagenverordnung womöglich nicht den langersehnten Anfang, sondern das vorzeitige Ende der „Solar City Berlin“ einläuten.

Klaus Mischen von der „Energieleitstelle“ der Senatsumweltverwaltung hofft dagegen, in den Verhandlungen mit der IHK eine bessere Regelung erreichen zu können. Nach den Proteststürmen der Wirtschaft verständigte man sich nämlich darauf, daß anstelle der rechtsverbindlichen Verordnung auch eine „gleichwertige“ Vereinbarung auf freiwilliger Basis treten könnte, und auf diesem Wege hoffen die Senats- experten die Beschränkung auf zentrale Warmwasserbereitung umgehen und womöglich sogar – beispielsweise über Vorgaben für die Altbausanierung – eine Ausweitung der Solaranlagen-Präferenz auf den Bestand erreichen zu können.

Als Druckmittel gilt ein erneuter Abgeordnetenhausbeschluß vom Dezember letzten Jahres: Falls nicht binnen zwei Monaten eine der Verordnung gleichwertige Lösung auf dem Tisch liegt, solle die Rechtsvorschrift in Kraft treten. Als freilich das Ultimatum Ende Februar verstrich und die IHK mit ihren Vorschlägen nicht einmal die wirtschaftsfreundliche CDU zu überzeugen vermochte, folgten keine Taten, sondern eine Verlängerung der Frist bis Ende Mai.

Dann aber soll es ernst werden. Der SPD-Solarexperte Holger Rogall beruft sich auf die Zusicherung des CDU-Bausenators Jürgen Klemann, seine Zustimmung zur Verordnung nicht weiter zu verweigern: „Ich gehe davon aus, daß das Wort eines Senators gilt.“

In der Berliner Solarbranche, die seit nunmehr anderthalb Jahren auf einen Umsatzschub hofft, sank die Stimmung indes auf Null. Von „freiwilligen“ Vereinbarungen erhofft man sich eingedenk vieler mißlungener Versuche in anderen Bereichen herzlich wenig, weil es keine Möglichkeiten gibt, deren Nichteinhaltung zu ahnden. Energieexperte Mischen dagegen hält es sehr wohl für möglich, den nötigen Druck auszuüben: „Der Anteil der Solarenergie wird dann jährlich evaluiert, und wenn die Vereinbarung nicht eingehalten wird, tritt eben die Verordnung in Kraft.“ Jochen Siemer