Auf zu neuen Zellen

■ Solarzelle in Burgunderrot made in Gelsenkirchen: Ein Allerweltsfarbstoff soll die Photovoltaik revolutionieren. Doch das Produkt von Michael Grätzel ist umstritten

Zwei Fragen gehören weltweit zu den Dauerbrennern in der Solarszene: Wie läßt sich der Wirkungsgrad von Solarzellen erhöhen? Und welches Ausgangsmaterial bietet die beste Basis, um mit niedrigen Herstellungskosten eine industrielle Massenfertigung zu ermöglichen? Das Institut für Angewandte Photovoltaik (INAP) in Gelsenkirchen testet einen neuen Zelltyp: die Farbstoffzelle.

Die Solarforscher setzen dabei mit einer Rutheniumverbindung auf einen Allerweltsfarbstoff, einer Idee, mit der Anfang der neunziger Jahre der Berliner Physiker Michael Grätzel für Wirbel sorgte. Vorbild für die Grätzelsche Farbstoffzelle ist das Prinzip der Photosynthese. Anstelle des grünen Blattfarbstoffs Chlorophyll tritt in der Grätzel-Zelle allerdings der dunkelrote Rutheniumkomplex.

Doch ist der Farbstoff nur einer der Bestandteile dieser neuen Solarzelle: Auf den Boden einer elektrisch leitfähig beschichteten Glasplatte wird bei 450 Grad Celsius das ungiftige und billige Titandioxid gebrannt und mit Ruthenium gefärbt. Darauf wird eine zweite Glasscheibe gesetzt, wobei der verbleibende Zwischenraum mit einer jodhaltigen Flüssigkeit gefüllt wird. Die burgunderweinrote Rutheniumverbindung fängt das Sonnenlicht ein und leitet die lichterzeugten Elektronen an das Titandioxid weiter. Holt sich der Farbstoff die jetzt fehlenden Elektronen aus der Jodlösung, so erhält das Jod seinen „Ersatz“ von der elektrisch leitenden Glasplatte. Verbindet man beide Gläser, entsteht eine ständige Springprozession von Elektronen – und der Stromproduktion steht nichts mehr im Wege. Genau das schaffte Grätzel auch in seinen Labors an der Technischen Hochschule in Lausanne, wobei es diese neuen Zellen anfangs auf einen Wirkungsgrad von etwa sieben bis acht Prozent brachten. Mittlerweile gelang es, rund elf Prozent des Sonnenlichts in elektrische Energie umzuwandeln – eine Größenordnung, die eine Vermarktung schon interessanter macht.

Sichtlich gequält reagiert INAP-Geschäftsführer Klaus Peter Hanke auf die Standardfrage, welcher Strompreis denn mit dieser weiterentwickelten Grätzel- Zelle möglich sei: „Zum jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Zahlen zu nennen wäre reine Spekulation.“ Sie kursieren dennoch: Solarexperten halten es für möglich, daß die Farbstoffzelle um den Faktor 5 billiger sein wird als die konventionellen Kraftpakete. Michael Grätzel selbst schätzte die Kosten für die Kilowattstunde Solarstrom auf rund 20 Pfennig – ein durchaus konkurrenzfähiger Preis. Hanke: „Damit hat sich Grätzel wohl etwas zu weit aus dem Fenster gehängt.“ Zu gern werde übersehen, daß die Solarmodule nur etwa zu 40 Prozent den Preis einer netzgekoppelten Photovoltaikanlage bestimmen. Der Rest ginge für Wechselrichter, Installation oder Verkabelung drauf, handwerkliche Arbeiten also, deren Preise in den nächsten Jahren eher steigen werden.

Hanke mußte seit Beginn der Forschungen in Gelsenkirchen im Frühjahr 1995 mit ganz anderen Problemen kämpfen. So gab es Probleme mit der Leitfähigkeit zwischen den beiden Glasplatten. Die aggressive Jodlösung fraß alles auf, mit denen INAP-Forscher versuchten, die Zelle abzudichten. Der Institutschef sieht mittlerweile einen Lichtstreifen am Laborhimmel: „Nachdem wir mehr als 60 Kleber getestet haben, wissen wir jetzt, an welchen Schrauben wir drehen müssen.“ Ohne einen funktionierenden Dauerkleber können die Solarforscher das angestrebte „Upscaling“ abhaken: Mittlerweile wurden Solarzellen für ein 30x30 Zentimeter großes Solarmodul aneinandergereiht. Der Schritt zur industriellen Serienreife (80x120 Zentimeter) dauere, so der INAP-Zeitplan, weitere zwei bis vier Jahre. Bis die Farbstoffzelle einen nennenswerten Marktanteil erreichen kann, vergehen nochmals 5 bis 7 Jahre.

Am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg beobachtet Armin Zastrow die Arbeiten an der Farbstoffzelle in Gelsenkirchen. Physiker Zastrow, zuständig für die Materialforschung, kennt die Probleme des INAP-Teams: „Wir selbst experimentieren mit der Grätzel-Zelle.“ Auch wenn der Solarfachmann den neuen Zellentyp „durchaus positiv“ beurteilt, will er sich nicht festlegen, daß es sich bei der Farbstoffzelle um die alleinige Zelltechnologie der Zukunft handelt. Auch Dünnschichtzellen räumt Zastrow gute Marktchancen ein. Erste Anwendungsmöglichkeiten für die Farbstoffzelle sieht der Freiburger im „Schwachlastbereich“, bei Taschenrechnern oder Uhren: „Es wäre verkehrt, die Grätzel-Zelle mit Vorschußlorbeeren zu überschütten.“ Der Weg bis zur Serienproduktion sei jedenfalls sehr dornenreich.

Neun Millionen Mark, davon über 80 Prozent aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen, stehen dem Hanke-Team zur Verfügung. Eine eher bescheidene Summe bei all den namhaften INAP-Gesellschaftern: Neben der Stadt Gelsenkirchen, die mit 51 Prozent an der GmbH beteiligt ist, teilen sich die restlichen Anteile der Spezialchemikalienhersteller Th. Goldschmidt AG, die Flachglas AG, die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) sowie der Energiegigant RWE. Die wirtschaftlichen Interessen dieses Quartetts sind offensichtlich: Goldschmidt produziert das Titanoxid, Flachglas sucht neue Märkte: „Mit der klassischen Floatglas- Produktion ist künftig immer weniger Geld zu verdienen“, sagt INAP-Geschäftsführer Hanke. Er muß es wissen: Jahrelang leitete er die Forschungsabteilung für das Gelsenkirchener Unternehmen, an das INAP ist Hanke stundenweise „ausgeliehen“.

Einen weltweiten Aha-Effekt erwarten sich die Anhänger der Farbstoffzelle von den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Die australische Firma Silicon Technologies Australia will 2.000 Quadratmeter des Olympiastadion mit den Grätzel-Zellen überdachen. Das Projekt bedeutet eine immense Arbeit, sagt Armin Zastrow: „Die Module werden in Quadratzentimetern hergestellt – per Handarbeit.“ Ralf Köpke