Alternative Alte

■ Leise, aber unaufhaltsam rieselt es in der großen Sanduhr. arte-Themenabend zum "Dritten Alter" (Sonntag, 20.45 Uhr)

Höchste Zeit zum Nachdenken über die eigene Zukunft: Eine als „Denkanstoß“ gedachte Gelegenheit dazu bietet arte heute mit einem Themenabend zum Leben im Alter. Besonders Menschen um die 60 sind angesprochen, allerdings nicht nur – aus gutem Grund. Die große Sanduhr rieselt bei jedem schneller als gedacht. Aber wie zu gestalten sei, was die Franzosen „troisième age“, das dritte Alter, nennen, das ist die große Frage. Beim WDR, der diesen Themenabend beschickt, meinen die Redakteurinnen Ute Caspar und Heike Wilke jedenfalls, eine „Trendwende in der Zukunftsgestaltung“ ausgemacht zu haben. Anzeichen dafür zeigt der Filmemacher Wolfgang Korruhn, der in Nijmwegen und in der Nähe von Amsterdam, im „Bunten Haus“ in Berlin und den „Jardins d'Arcadie“ bei Paris Wohnformen mit alten Menschen besuchte, die sehr unterschiedlich sind, aber eines gemeinsam haben: das Lebenselixier Aktivität (22.15 Uhr).

Ein Dokumentarfilm aus Großbritannien folgt in den USA den sogenannten „Snowbirds“ – unternehmenslustigen, mobilen Rentnern, die im Wohnwagen im Winter die Sonne suchen – im Wüstenkaff Quartzsite, das deshalb dann zur 1,5-Millionen-Stadt anschwillt (23.15 Uhr). Ein Beitrag über europäische Alten-Winterquartiere fehlt allerdings.

Wie Science-fiction mutet eine weitere Alterslebensform amerikanischer Prägung an, die Herbert Fell allerdings schon vor vier Jahren filmte: das Mega-Ghetto Sun City/Arizona, in dem absichtsvoll ausschließlich alte Menschen leben: 50.000 Einwohner, 25 Kirchen, 43 Banken, elf Golfplätze, 200 Ärzte (0.15 Uhr).

Dazwischen, als Running Gag und auch als zusammenhängender 15-Minuten-Beitrag um Mitternacht, eine entlarvende Performance der Kölner Künstlerin Angie Hiesl mit freiwilligen Akteuren zwischen 62 und 84 in schwindelnder Höhe: „X-mal Mensch Stuhl“. Vor all diese informativen Päckchen hat der WDR ein Bonbon plaziert, das er als Coproduzent im Vorratsschrank hat und nun als Publikumsmagnet einsetzt: Bernhard Sinkels vielfach preisgekrönter Klassiker „Lina Braake“ aus dem Jahre 1974. In dem leise, aber humorvoll inszenierten Stück brillieren die hinreißende Lina Carstens (damals 82) und der damals 84jährige Fritz Rasp gegen die Machenschaften übler Grundstücksspekulanten (20.45 Uhr).

Bedauerlich allerdings, daß auf vertiefende Zwischenmoderation und Gespräche im Studio, etwa mit „Grauen Panthern“, verzichtet wurde, weil das bei arte-Themenabenden immer so gemacht wird. So dürfte es leider ziemlich unwahrscheinlich sein, daß gerade die Kern-Zielgruppe ohne diese Hilfe imstande ist, die „Zeitreise“ bis zum viereinviertel Stunden entfernten Alten-Hochsicherheitstrakt „Sun City“ wachen Auges durchzustehen.

Ohne Video-Recorder geht's also nicht. Immerhin stellt der WDR auf Anfrage eine Informationsliste zu den Themen alternative Wohnformen und Mehrgenerationenprojekte zur Verfügung. Ulla Küspert