Action mit der Handbremse

Wie weiland Cary Grant über den Dächern von Nizza: „Absolute Power“, eine gemächliche Meisterdiebiade von Clint Eastwood  ■ Von Thomas Winkler

Unter dem mächtigsten Mann der Welt tut's Clint Eastwood nicht mehr. In „In the Line of Fire“ beschützte er ihn, in „Absolute Power“ bringt er ihn höchstpersönlich zur Strecke. Hier mimt Eastwood einen Einbrecher, einen von der edlen Sorte mit Berufsehre, einen mit Sinn fürs Handwerk, der sogar von der Polizei gelobt wird und in Korea und Vietnam war. Der Präsident der Vereinigten Staaten, dargestellt von Gene Hackman, der inzwischen fast ein halbes Kabinett inklusive der dazugehörigen Anwälte gespielt haben dürfte, ist ein durch und durch unangenehmer Zeitgenosse: korrupt, verlogen und schleimig, wie Politiker halt so sind, und dazu noch mit einem Hang zu brutalem Sex mit jungen verheirateten Frauen von Parteifreunden. Was ihm natürlich prompt zum Verhängnis wird, weil dummerweise Einbrecher Eastwood hinter einem nur von seiner Seite durchsichtigen Spiegel sitzt, während die Gespielin zu Tode kommt. Also schwingt sich Eastwood hinfort wie damals Cary Grant über „Die Dächer von Nizza“, und fortan sind sämtliche verfügbaren Sicherheitskräfte hinter ihm her.

„Absolute Power“ beginnt mit Detailaufnahmen eines Gemäldes von El Greco. Im Museum, vor dem Werk des Alten Meisters, sitzt der andere alte Meister und kopiert den Kollegen. Man erkennt Eastwood trotz der schelmischen Baskenmütze, die den Künstler auf Abwegen signalisieren soll, aber nicht so recht zum harschen Faltenwurf im Gesicht des fahlen Reiters passen mag.

Aber Eastwood kommt sogar mit einem hanebüchenen Plot durch. Die titelgebende absolute Macht agiert völlig amateurhaft, läßt Beweisstücke voller Blut und Fingerabdrücke liegen, reagiert, bedroht durch einen einzigen Mann, überaus panisch und stellt sich prinzipiell recht dilettantisch an beim Vertuschungsgeschäft. In den USA echauffierten sich sogar politische Kommentatoren über die Realitätsferne von „Absolute Power“: Daß ein Präsident, nur begleitet von zwei Secret-Service- Leuten und seiner Stabschefin, das Weiße Haus verlasse, sei schlicht unmöglich, und daß er eine Affäre habe, die Frau zu Tode komme und keiner der 20.000 Reporter in Washington etwas davon mitbekomme, sei ja wohl kaum mehr als ein schlechter Scherz.

Die Kamera führt unaufdringlich, fast konservativ durch die zwei Stunden, kein Hangeln von einem Special Effect zum nächsten, die Actionszenen wie mit der Handbremse. Die Guten sind eigentlich böse, die Bösen eigentlich gut, ganz altmodisch. „Das wäre ein Kompliment“, hat Eastwood gesagt, „der Film hat eine Geschichte, und er hat Charaktere. Wenn das altmodisch ist...“ Es ist altmodisch. Der Meisterdieb bewahrt seinen Hausschlüssel in der Topfpflanze vor der Tür auf. Brieföffner kommen als Selbstverteidigungswaffen für Frauen zum Einsatz. Der Dieb und der Polizist, der ihn fangen soll, ihn aber schwer sympathisch findet, umschwirren sich in einem Dialog voller Anspielungen, an dem sogar Lubitsch seine Freude gehabt hätte. Es ist erholsam, eigentlich viel zu erholsam, schließlich will das ein Politthriller sein.

Allein, es funktioniert. Wohl schlicht und einfach deshalb, weil Eastwood und seine seit Jahrzehnten stabile Crew ganz altmodische Profis sind. „Absolute Power“ ist der 26. Film, bei dem Eastwood als Regisseur und/oder Schauspieler mit Kameramann Jack Green zusammenarbeitet. Wieder einmal war Eastwood beim Drehen weit vor dem Zeitplan, er ist berühmt dafür, noch nie in seiner Laufbahn als Regisseur ein Budget überschritten zu haben. Eastwood ist ein Pragmatiker, und so macht er auch Filme: das Bestmögliche zum niedrigsten Preis. Dazu hat er in gewisser Weise das alte Hollywood-Studio-System wiederaufleben lassen, wenn auch auf freiberuflicher Basis. Dabei können Epen entstehen wie „Unforgiven“ oder eher durchschnittliche Filme wie dieser. Augenfällig wird immer, daß sich Eastwood jedes Genres annehmen kann, eine persönliche Handschrift als Regisseur aber nie entwickelt. Die Signatur bekommen seine Filme erst durch sein Gesicht.

Trotzdem erzählt „Absolute Power“ viel über Eastwood und sein Verständnis von Demokratie. Zuerst will der Dieb fliehen, er steht schon am Flughafen, Ticket in der Tasche, da sieht er den Präsidenten auf einem Fernsehschirm, wie der dem Witwer seines Opfers ins Gesicht lügt. Da setzt Eastwood sein Eastwood-Gesicht auf, die Backenmuskeln verhärten sich, seine Augen werden zu Schlitzen, es ist das Gesicht aus den Italowestern, das Ich-will-keine-Rache- ich-will-nur-das-Geld-Gesicht, aber Eastwood ist inzwischen Moralist, er sagt, durch die Zähne gepreßt: „Du Hurensohn, vor dir laufe ich nicht weg.“

Zu dem Vorwurf, seine „Dirty Harry“-Filme seien faschistoid, hat Eastwood einmal gesagt, es ginge und gehe ihm nie um politische Fragen, sondern allein um ethische. So ließe sich denn „Absolute Power“ interpretieren als Plädoyer, die eigenen demokratischen Bürgerrechte wahrzunehmen. Oder auch als Aufruf an die NRA: Schafft diesen Typen im Weißen Haus doch endlich beiseite, denn schließlich sind die Parallelen zum aktuellen Präsidenten, der inzwischen für so ziemlich alles außer Mord vor Gericht steht, unübersehbar. Eastwood mag bis ans Ende seines Schaffens immer und immer wieder die Frage klären, ob ein Mann tun muß, was ein Mann tun muß, die Antwort, die er liefert, wird wohl ewig ambivalent bleiben.

So kommt die Gerechtigkeit zu ihrem Recht, aber die Würde des Amtes muß in der Öffentlichkeit unbefleckt bleiben. Eastwood kann mittlerweile einen kleinen Film machen, der sich wie ein Sittengemälde von Renaissance-Ausmaßen gebärdet und auf zeitgeschichtliche Korrektheit einen Scheiß gibt, aber trotzdem damit durchkommen. Schließlich ist er vielleicht ein altmodischer, aber halt auch ein alter Meister geworden.

„Absolute Power“. Regie: Clint Eastwood, Buch: William Goldman. Mit Clint Eastwood, Gene Hackman, Ed Harris, Laura Linney, Scott Glenn, Judy Davis. USA 1997, 121 Min.