Trotz Streit Chancen für die Rechtsextremen

■ Frankreichs Front National könnte aus den Wahlen gestärkt hervorgehen

Paris (taz) – „Chirac ist schlimmer als Jospin“, tönte der Chef der Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, wochenlang und löste damit den Zorn seiner innerparteilichen Widersacher aus. „Selbstverständlich werden wir nicht zur Wahl der Sozialisten aufrufen“, korrigierte ihn zu Pfingsten der kommende starke Mann der französischen Rechtsextremen, Bruno Mégret – und stellte damit den Alten, der es schon nicht gewagt hatte, bei diesen Parlamentswahlen zu kandidieren, öffentlich bloß.

Der innerparteiliche Kampf zwischen dem 69jährigen Le Pen und dem 48jährigen Mégret überschattete auch den Parlamentswahlkampf der Front National. Seit der Wahl seiner Gattin zur Bürgermeisterin von Vitrolles und seit seiner eigenen triumphalen Wiederwahl in das Politbüro der Rechtsextremen auf dem Parteitag in Straßburg greift Mégret deutlich nach der Macht. Le Pen, der die Parlamentsauflösung als „Staatsstreich“ bezeichnet hatte, beschränkt sich ganz auf die Öffentlichkeitsarbeit und tut so, als bereite er sich bereits auf die nächste Präsidentschaftswahl vor. In dem TV-Werbespot seiner Partei ist er ganz allein im Bild, redet über die „Rettung Frankreichs“ und seine Standardthemen Migration, Sicherheit und nationale Verteidigung. Von seinem Widersacher spricht er gewöhnlich, ohne dessen Namen zu nennen: als „Mitbürgermeister von Vitrolles“. Der Parteibasis hat er Weisung gegeben, auf Wahlveranstaltungen statt „Mégret“ grundsätzlich „Vitrolles“ zu skandieren.

Daß sich der Streit an der Spitze auf die Wahlergebnisse der beiden kommenden Sonntage negativ auswirkt, ist dennoch unwahrscheinlich. In den Umfragen der vergangenen Wochen hielten sich die Rechtsextremen, die es erstmals geschafft haben, in allen Wahlkreisen Kandidaten aufzustellen, konstant bei 14 Prozent. Wegen des reinen Mehrheitswahlrechts in Frankreich würde das zwar nur ein bis drei Abgeordnete bedeuten, wäre aber eine langfristige Stabilisierung auf hohem Niveau. Das tatsächliche Ergebnis der Rechtsextremen dürfte sogar noch besser sein. Denn viele Wähler genieren sich, ihre Stimme für die FN zuzugeben.

Die Kampagne der Front National war im Vergleich zu früheren Urnengängen eher zurückhaltend – mit tonnenweise Briefkastenpropaganda und Kandidatenpräsenz auf Straßen und Märkten, aber ohne große nationale Meetings. Wohlmeinende französische Journalisten leiteten daraus bereits eine „Schwäche der Partei“ ab. Doch Parteiideologen sehen das anders. „Unsere Ideen setzen sich durch“, triumphierte Mégret vor einigen Tagen.

Damit hat er recht. Französische Gewerkschafter erleben täglich, wie sich die rechtsextremen Ideen von „nationaler Präferenz“, „Mutterlöhnen“, „Streichung der Sozialleistungen an Immigranten“ und „Verstärkung der Polizei“ an ihrer Basis breitmachen. Und im Wahlkampf der neogaullistischen RPR spiegelt sich der Erfolg der rechtsextremen Ideen auch in den Werbespots wieder, wo immer mehr von „law and order“ und „Kampf gegen die illegale Immigration“ die Rede ist, je näher der Wahltermin rückt. Innenminister Jean-Louis Debré spielt die Hauptrolle bei diesem Kokettieren mit dem Rechtsextremismus, der die Wähler in die konservative Mitte zurücklocken soll.

Tatsächlich könnte Präsident Chirac aber eine Wählerbewegung in umgekehrter Richtung ausgelöst haben. Bislang gab es für französische Konservative zwei politische Heimaten: die proeuropäische UDF für die liberale, christliche Klientel und die eher euroskeptische RPR für nationalistische und laizistische Kreise. Die eindeutige Zuwendung des RPR- Gründers Chirac zu Europa hat nun manchen Neogaullisten heimatlos gemacht – und es wäre nicht das erste Mal, daß die Front National von einer Krise der RPR profitiert. Bereits zwischen 1984 und 1986 machte die Partei einen großen Sprung nach vorn, als sie abgewanderte Wähler und Kader der RPR absorbierte – auch den damaligen RPR-Mann Mégret.

Sollte er tatsächlich den Zweikampf gewinnen, wäre die Partei von dem Stigma des archaischen Rechtsextremismus befreit. Mit Le Pen wäre ein weiteres Hemmnis für das Wachstum der FN aus dem Weg geräumt. Dorothea Hahn