Statt slawischer Liebesheirat nur eine Scheinehe

■ Rußland und Weißrußland unterzeichnen Unionscharta. Ändern dürfte sich wenig

Moskau (taz) – Eigentlich wollten sich beide Partner aufrichtig lieben. Der Russe Boris Jelzin und der Weißrusse Alexander Lukaschenko. Die Sache mit der Liebesheirat hatte nur einen Haken, vielmehr zwei. Die Hochzeiter hegten jeder für sich Hintergedanken. Anders gesagt: Wer schluckt wen? Die Hochzeit findet statt, die Form wird gewahrt. Nach Schlemmern und Küßchen-Küßchen verläßt das frisch vermählte Paar gemeinsam das Bankett und verschwindet in die getrennten Schlafgemächer.

Dabei hatten die Hofschranzen in beiden Hauptstädten intensive Vorarbeit geleistet. Es war viel geplant, eine gemeinsame Hauptstadt, ein Parlament und sogar eine gesonderte Exekutive, der die Staatsoberhäupter beider Länder vorstehen sollten. Gemeinschaftsorgane werden zur Welt kommen, aber als Totgeburten. Die Gegner der Union in Moskau destillierten die Dokumente, die gestern im Kreml unterzeichnet wurden, bis zur Belanglosigkeit herunter. Die sogenannte Charta „beabsichtigt, schriftlich den Prozeß der Integration zwischen unseren Ländern festzuhalten, der sich zur Zeit schon entfaltet“, kommentiert Präsident Lukaschenko sichtbar lustlos.

Die Vizepremiers Anatolij Tschubais und Boris Nemzow setzten in den letzten Wochen alle Hebel in Bewegung, um die Vereinigung aufzuhalten. Den liberaleren Politikern war nicht nur der autoritäre Lukaschenko ein Dorn im Auge. Sie fürchten überdies, die bankrotte weißrussische Wirtschaft würde das desolate russische Budget zusätzlich belasten.

Ihre Strategie ging auf. Zunächst entwickelten sie ein Szenario für den russischen Präsidenten: Es reichte aus, Jelzin auszumalen, der machthungrige Weißrusse könnte schon 1999 mit Hilfe der russischen Opposition aus Kommunisten und Nationalisten den Kreml an sich reißen. Jelzin ließ das Projekt einer Union gleichberechtigter Staaten fallen. Ein einheitliches Staatswesen sollte es nun werden, in dem Weißrußland nur noch die Rolle eines gewöhnlichen Subjektes der Russischen Föderation zugewachsen wäre. Das beunruhigte Lukaschenko, der sich zu mehr berufen fühlt als einem Provinzgouverneur. Schließlich ventilierte der Vizesprecher des russischen Parlaments, Alexander Schochin, die Hypothese, nach einer Vereinigung stünde einer dritten Präsidentschaftskandidatur Jelzins nichts mehr im Wege. Die russische Verfassung sieht nur zwei Amtsperioden vor. Doch in einem neuen Land ...? Das versetzte dem Vorhaben den endgültigen Todesstoß. Klaus-Helge Donath