Aus Jägern wurden Gejagte

Haie, die Könige der Weltmeere, sind vom Aussterben bedroht. Begehrt sind ihre Flossen und Bauchlappen. Haiknorpel soll vor Krebs schützen  ■ Von Thomas Häusler

Haie durchleben heutzutage miese Zeiten. Dabei ging über 150 Millionen Jahre lang alles gut. Sie waren die unangefochtenen Könige der Meere. Wenn sie schon gejagt und verspeist wurden, dann wenigstens nur von größeren Artgenossen. Längst Vergangenheit.

Aus den tödlichen Jägern sind wehrlose Gejagte geworden. Jahr für Jahr werden 30 bis 70 Millionen Haie erlegt. Die Zahl einiger Arten ist seit 1980 um achtzig Prozent zurückgegangen. Von anderen weiß niemand, wie viele Überlebende sich noch durch die Meere fressen. Denn Haie sind Freiwild. Fast kein Staat kontrolliert den Fang. Für einzelne Arten ist die Gefährdung so akut geworden, daß sie 1996 zum erstenmal in die Rote Liste der bedrohten Tierarten aufgenommen wurden.

Ein wirksamer Schutz ist dies keineswegs, denn die Rote Liste ist für keinen Staat verbindlich. Nur eine Aufnahme in die Anhänge des Washingtoner Artenschutzabkommens (Cites) würden den archaischen Räubern verbindlichen Schutz garantieren. Doch die Cintes-Listen bleiben weiter haifrei. Keiner der am Washingtoner Abkommen beteiligten Staaten wird an der nächsten Cites-Konferenz im Juni dieses Jahres Handelsbeschränkungen für die gejagten Jäger verlangen, obwohl dies Fachleute immer wieder forderten. So wurde die US-Regierung gebeten, Dorn- und Dunkelhaie zur Aufnahme vorzuschlagen. Vergeblich. „Man weiß so wenig über Haihandel, daß eine Handelsbeschränkung nicht kontrolliert werden könnte“, sagt Merry Camhy von der amerikanischen Naturschutzorganisation Audubon Society. Immerhin soll sich jetzt eine spezielle Gruppe innerhalb des Cites mit dem Haihandel befassen.

Keine Sekunde zu früh, denn die eleganten Räuber gelangen immer mehr ins Visier der Fischer. Längst sind die klassischen Speisefische so selten geworden, daß die mit vielen Subventionsmillionen hochgerüsteten Fischereiflotten ihre riesigen Schleppnetze und kilometerlangen Fangleinen auf neue Ziele ansetzen. Vor allem Haie sind dem Massenangriff der Kühlschiffarmada nicht gewachsen. Als Beherrscher der Meere an der Spitze der Nahrungskette sind sie in großer Zahl aufgetreten. So sind sie denn ausgesprochen gebärfaul: Einige Arten brauchen 20 Jahre bis zur Geschlechtsreife, bringen gerade mal fünf bis zehn Junge zur Welt und sind dabei auch noch etwa zwei Jahre lang trächtig.

In den sechziger Jahren demonstrierte die Fischereiindustrie zum erstenmal ihre Überlegenheit über ihre unfreiwilligen Gegner. Damals jagte sie intensiv nach Heringshaien. Sechs Jahre dauerte die Hatz, dann war die Population weltweit zusammengebrochen. Heute, dreißig Jahre später, hat sich der Bestand noch immer nicht erholt.

Heutzutage enden die meisten Haie in der Suppe. Haifischflossensuppe ist vor allem in Asien als große Delikatesse begehrt. Ein Kilogramm Flosse kostet bis zu 700 Franken, eine Schale Suppe bis zu 150 Franken. Allein der Hauptumschlagplatz Hongkong importierte 1995 6,1 Millionen Kilo Flossen. Auch hierzulande wandern einzelne Haibestandteile als Delikatesse über den Ladentisch. Die beliebten Schillerlocken zogen in ihrem früheren Lebens als Bauchlappen der Dornhaie durch die Meere. Um die Fänge zu maximieren, halten sich die Fischer gern an die gruppenbildenden, geschlechtsreifen Weibchen und bedrohen so wirkungsvoll das Überleben der gesamten Spezies. Seit 1995 gehen die Fänge zurück, was von den Fachleuten als erstes Zeichen eines Populationszusammenbruchs gedeutet wird.

Die neueste Attacke gegen die Herrscher der Hochsee wird vor allem in den USA und Asien lanciert. Dort gilt bei vielen Haiknorpel als letzte Rettung gegen Krebs. Jeder Gesundheitsladen zwischen New York und San Francisco führt das Pulver aus zerriebenen Haiskeletten im Sortiment. Der Begeisterung der Konsumenten tut es keinen Abbruch, wenn Onkologen immer wieder betonen, daß es für die Wirksamkeit des Pulvers keine Beweise gebe. Haie bekommen zwar wenig Krebs, aber das hat laut Carl Luer, einem Biochemiker und Haiforscher am Mote Marine Laboratory in Florida, wahrscheinlich nichts mit ihrem Knorpel zu tun. Es stimmt auch, daß Haiknorpelextrakt, in Mäuse implantiert, die Blutversorgung von Tumoren verhindern kann. Nur hilft es nach Meinung vieler Wissenschaftler nichts, den Extrakt zu schlucken, da alle aktiven Wirkstoffe von der Magensäure zerstört werden.

Trotzdem werden mit dem Pulver bereits 75 Millionen Franken Umsatz im Jahr erzielt. In Costa Rica, dem Zentrum der Knorpelgewinnung, werden jährlich etwa drei Millionen Haie zu Pulver zerrieben. Tendenz steigend. Denn das Wundermittel soll nicht nur gegen Krebs helfen, sondern auch gegen Arthritis, Rheuma, Schuppenflechte, Gürtelrose und Akne. Auch gegen Hunderheuma und Katzenarthritis wird es neuerdings angepriesen. Falls die Haie in Zukunft nicht geschützt werden, kann es also passieren, daß die letzten Schrecken der Meere ihre 150 Millionen Jahre währende Geschichte in Hunde- und Katzennäpfen beenden.