: Schweigen über die Zukunft
■ Die FDP nur eine Steuersenkungspartei? Viele Mitglieder fühlen sich unwohl. Aber sie wissen keinen Ausweg aus dem Dilemma
Noch vor ein paar Tagen kannte kaum jemand den Namen Cornelia Pieper. Jetzt reißen sich die Journalisten um die Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt. Bei den Wahlen zum FDP-Präsidium hat sie die meisten Stimmen bekommen. „Ich bin in einem Jubeltaumel drin“, gibt Cornelia Pieper zu. Noch am Tag nach den Wahlen strahlt sie so sehr von innen heraus, daß eine Frage nach dem Gesamtzustand der Partei fast taktlos erscheint. „Im Moment sind die Sympathiewerte nicht so hoch“, räumt sie schließlich ein. Am Konzept liege es nicht. „Wir haben immer gute Programme erarbeitet.“
Zu denen bleiben jedoch auch nach einem Gespräch mit Cornelia Pieper Fragen offen. Aus ihrer Sicht war eine Schärfung des Profils als Steuersenkungspartei seinerzeit „schon wichtig, weil die Partei kein Profil mehr hatte“. Heute aber brauchte die Partei einen zweiten oder sogar dritten Schwerpunkt. Und dann beläßt sie es doch nur bei einer kurzen Bemerkung über die große Bedeutung der Bildungspolitik, um sofort wieder ausführlich die Notwendigkeit von Steuersenkungen zu begründen. Das Dilemma prägt den Parteitag. Vielen in der FDP ist unbehaglich, wie stark die Führung, allen voran Westerwelle, die Partei auf ein einziges Hauptthema eingeschworen hat. Aber ein anderes großes Thema für die inhaltliche Kontroverse bietet sich nicht an. Über die Frage, die wohl alle am meisten bewegt, wird konsequent geschwiegen: Hat die FDP überhaupt noch eine Zukunft?
Die Parteispitze gibt sich siegessicher. „Das Wichtigste ist: Wir brauchen liberale Inhalte in den Parlamenten, und das geht nur mit der FDP!“ ruft Generalsekretär Westerwelle. Aber was genau sind die liberalen Inhalte? Da weichen die Redner immer wieder auf Sinnsprüche aus: „Freiheit ist Vielfalt“ – „Freiheit ist Verantwortung“ – „Freiheit und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden“. Wer wollte da schon widersprechen?
Zu Beginn des Parteitags hatte sich der Unmut der Basis zaghaft Luft gemacht. Die Steuerfrage sei nicht die entscheidende Zukunftsfrage für Deutschland, meint Michael Theurer aus Baden-Württemberg: „Wir, die FDP, holen die Menschen nicht dort ab, wo sie gefangen sind, nämlich in ihren Ängsten.“ Die Selbstachtung der Basis sei schwer strapaziert, sagt Martin Zeil aus Bayern. „Die Bürger haben ein viel feineres Gespür für heiße Luft als manche Politiker.“
Konkreter aber wird es in der Debatte nicht. Inhaltliche Impulse gehen vom Plenum kaum aus. Statt dessen setzen die Delegierten auf Personen, die ihre Sache vertreten sollen. Auch Sabine Leutheusser- Schnarrenberger wird ins Präsidium gewählt. Die ehemalige Justizministerin weiß, was von ihr erwartet wird. Sie sei wohl gewählt worden, weil sie „diese Verengung auf Steuersenkung nicht wollte“, meint Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. „Liberalismus ist mehr als Wirtschaftsliberalismus.“
Die Delegierten des Parteitags bemühen sich um die Quadratur des Kreises. Sie wählen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins Präsidium, belohnen Gerhardt und Westerwelle nach ihren Reden mit stehenden Ovationen – und tuscheln auf den Fluren über die Schwäche der FDP-Minister und eine Kabinettsumbildung. Auch Kritiker der Parteiführung treten vorsichtig auf. An Jürgen Möllemann haben sie gesehen, was einem passiert, der allzu laut seine Meinung sagt. Obwohl sich sogar der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher für ihn stark gemacht hatte. „Ich habe ihn vorgeschlagen aus alter Verbundenheit, für den Landesverband und weil ich es für richtig gehalten hätte, wenn er gewählt worden wäre“, sagt Genscher später der taz. „Er ist ein standfester Mann und eine Persönlichkeit, die eine liberale Partei auch braucht. Es muß auch Leute geben, die mit markanten Erklärungen aufzuwarten haben.“
Von den Delegierten sind nach den Vorstandswahlen keine solchen Erklärungen mehr zu hören. Für die Debatte über das Grundsatzprogramm interessiert sich schon keiner mehr so recht. Plenum und Präsidium sind dünn besetzt. Die meisten Delegierten seien jetzt wohl beim Essen, vermutet ein junger Redner und merkt bissig an: „Aber wir diskutieren hier ja nur das Grundsatzprogramm. Da ist das auch nicht so wichtig.“ Bettina Gaus, Wiesbaden
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