„Das können alle möglichen gewesen sein“

■ Obwohl die Täter Hakenkreuze als Handschrift hinterließen, mögen viele Schaulustige nicht wahrhaben, daß die Kirche Sankt Vicelin in Lübeck von Rechten angezündet wurde

Lübeck (taz) – Das Feuer, das sich im Kupferdach wie in einem Kochtopf gefangen hält, hat sie angelockt. Etwa 100 Schaulustige stehen am Nachmittag an der brennenden Sankt-Vicelin-Kirche und räsonieren, wer den schlichten 50er-Jahre-Bau angezündet haben könnte. Einen Namen haben die Brandstifter auf die Wände geschmiert: „Harig“ und Hakenkreuze. Die Zündler haben sich als Neonazis ausgewiesen und als Gegner von Günter Harig, Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Sankt Marien. Er gewährt seit zwei Wochen einer algerischen Familie Kirchenasyl.

Daß Neonazis die Kirche in Brand gesetzt haben, davon ist nicht jeder Schaulustige überzeugt. „Das können alle möglichen gewesen sein“, ist Rentnerin Lisa F. überzeugt. Schließlich wohnten hier im Stadteil St. Jürgens auch doch auch Punks und allerlei buntes Volk. Nein, über Rechtsradikale mag sie gar nicht reden. Zusammen mit ihrer Bekannten Christel Sch. weist sie lieber darauf hin, daß Kirchenasyl nicht rechtens sei. „Wir haben die Nase voll“, sagt Christel Sch., und auch in der Hafenstraße, wo im Januar 1996 ein Flüchtlingsheim angezündet wurde, seien es „doch wohl keine Rechtsextremen gewesen“.

Auf den Hafenstraßenbrand, bei dem zehn Menschen starben, kommen auch die Männer zu sprechen, die sich im nahen Grillshop bei einer Dose Bier den Anblick des qualmenden Kirchendachs gönnen. „Ich bin auch rechts und könnte kotzen, daß hier noch mehr Asylanten ins Land sollen“, erzählt der Lauteste von ihnen. „Natürlich ist Kirchenanzünden keine Lösung, aber, wie gesagt, vielleicht sind es ja auch gar keine Rechtsextremen gewesen.“

Kirchen- und Stadtvertreter sind sich sicher, daß die Täter dort zu suchen sind. Karl Ludwig Kohlwage, evangelischer Bischof Nordelbiens, spricht von einer „neuen Eskalationsstufe“. Die Kirche sei „als Symbol“ attackiert worden, denn die Brandstifter hätten nicht zwischen katholisch und evangelisch unterschieden. Kohlwage selbst wird von der Polizei beschützt. Bei ihm wurde im Februar ein Gartenschuppen in Brand gesetzt. Auch hier schmierten die Täter Hakenkreuze an eine Wand. Die Haltung der Kirche in Fragen des Kirchenasyls, sagt Kohlwage, ist jedoch nicht zu brechen: „Das ist ein fester Schulterschluß.“ Er fordert, die Gebäude der Sankt- Marien-Gemeinde nun auch unter Polizeischutz zu stellen. Schließlich sei die algerische Familie dort untergebracht. Dafür hat auch Detlef Almes, Flüchtlingsbeauftragter des Kirchenkreises Lübeck, gesorgt. Der Vater der Familie habe sich an Sankt Marien gewandt, sein Elternhaus in Algerien sei in die Luft gesprengt worden, die ganze Familie fühle sich bedroht.

Am Nachmittag hängt das Lübecker Bündnis gegen Rassismus vor Sankt Vicelin Transparente an Straßenschilder und Bäume. Sprecher Christoph Kleine berichtet von Brandanschlägen im vergangenen Jahr im Stadtteil St. Jürgen auf ein Studentenwohnheim und auf ein türkisches Restaurant. „Die Zeit der Lichterketten ist offenbar vorbei“, konstatiert Kleine. „Und alle, die in Lübeck die evangelische Kirche für dieses erste Kirchenasyl, was sie hier bisher gewährt hat, kritisiert haben, haben sich auch an diesem Brand schuldig gemacht.“ Ulrike Winkelmann