Aufstand per Stimmzettel

■ Irans neuer Präsident heißt Mohammad Chatemi

Es ist eine kleine Revolution. Erstmals seit dem Sturz des Schahs hatte im Iran wieder einmal das Volk etwas zu sagen. Und es nutzte die Chance, um den herrschenden Theokraten eine schallende Ohrfeige zu erteilen.

Neben dem Ergebnis sind an den Wahlen zwei Dinge bemerkenswert: Daß die Stimmauszählung nicht manipuliert wurde – die Islamische Republik unterscheidet sich damit von den Despotien der Region. Und die hohe Wahlbeteiligung. Am Freitag wählten IranerInnen, die bei früheren Abstimmungen zu Hause geblieben waren, weil ja doch nur Vertreter der gleichen Clique zur Auswahl standen. Mohammad Chatemi ist es gelungen, den Geruch des Regimes loszuwerden – viele seiner WählerInnen drückten mit ihrem Votum aus: Wir wollen eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse. Doch damit fangen Chatemis Probleme an. Er selbst steht für einen moderaten Mullah-Staat. An dem von Chomeini festgelegten Führungsanspruch der islamischen Rechtsgelehrten will er nicht rühren. Auch wenn Intellektuelle aufatmen und der westlich orientierte gehobene Mittelstand Freudenfeste veranstaltet: Eine Systemveränderung ist von Chatemi nicht zu erwarten.

Dennoch wird der religiöse Gelehrte reichlich Probleme mit dem religiösen Establishment bekommen. Irans Präsident ist nicht der mächtigste Mann im Staat. Über ihm steht der Religiöse Führer Ali Chamenei – ein Erzkonservativer. Im Parlament haben dessen Gesinnungsgenossen eine kommode Mehrheit, ebenso in den finanzkräftigen religiösen Stiftungen und beim Geheimdienst. An diesem Machtgeflecht scheiterte Chatemis Vorgänger Rafsandschani. In seiner letzten Amtszeit sah der sich überall mit Gegnern konfrontiert, die seine Politik der wirtschaftlichen Liberalisierung sabotierten. Dagegen nützte Rafsandschani auch die von ihm gepflegte Skrupellosigkeit nichts. Chatemi gilt dagegen als ehrlich und vertrauenswürdig. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für im Iran übliche Machtkämpfe nach den Regeln Machiavellis. Chatemi ist schon einmal gescheitert: 1992 schmiß er – als „Liberaler“ gescholten – den Job als Minister für Kultur und religiöse Führung. Heute wird dieser Schritt als Beweis für Integrität ausgelegt. Aber ist das auch eine Qualifikation für die Präsidentschaft im realexistierenden Gottesstaat? Thomas Dreger