„Mit Freigängen mundtot gemacht“

■ Sigrid Koestermann (CDU) prangert schon seit Jahren die Mißstände im Bremer Knast an

Kein Abgeordneter kennt die Nöte und Sorgen der Knackis in Oslebshausen so gut wie Sigrid Koestermann (CDU). Seit zehn Jahren geht sie als Mitglied des Anstalts-Beirats und Justizdeputierte in Oslebshausen ein und aus. Schon vor Jahren hat sie auf Mißstände in der JVA hingewiesen. Ohne Erfolg. Gestern hat die Bürgerschaft – auf Betreiben der Opposition von Grünen und AfB – einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der die Mißstände im Knast aufklären soll. Koestermann wurde gestern in den Ausschuß gewählt

Frau Koestermann, jahrelang sind Sie mit Ihrer Kritik auf taube Ohren gestoßen. Jetzt soll der Ausschuß die Mißstände aufklären. Wie fühlen Sie sich?

Ich freue mich, daß endlich aufgeklärt wird. Wenn man sich für Strafgefangene einsetzt, gewinnt man in der Politik keinen Blumentopf. Meine Kollegen haben immer abgewunken und gesagt: „Ach die mit ihren Knackis.“

Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen zehn Jahren im Knast gemacht?

Mysteriöse Todesfälle hat es immer gegeben. Ich habe jedes Mal nachgefragt, aber ich habe nie eine befriedigende Antwort bekommen.

Gibt es dafür Beispiele?

Als 1992 ein Häftling tot in seiner Zelle aufgefunden wurde, hieß es in einem Kripo-Bericht, der Tatort sei verändert worden. Die Todesursache war unklar. Im Blut wurde Polamidon nachgewiesen, obwohl der Häftling gar nicht im Substitutions-Programm war. Wie er an das Polamidon gekommen ist, blieb unklar. Die toxikologischen Gutachten dauerten zum Teil elf Monate. Schließlich gab es Gutachten, aus denen hervorging, daß nicht festgestellt werden kann, woran der Mann gestorben ist. Anläßlich des letzten Todesfalles – ich meine den Häftling, der sich in der Beruhigungszelle erhängt hat – habe ich auch nachgefragt. Im nachhinein gehe ich davon aus, daß in diesem Fall die Unwahrheit gesagt worden ist.

Inwiefern?

Der Selbstmord wurde runtergespielt. Die Schnitte am Arm, also der Selbstmordversuch Stunden vorher, wurde zunächst verschwiegen. Daß die Essensklappe offenstand, kam auch erst durch nochmaliges Nachfragen ans Licht. Ich kann auch nicht verstehen, daß jemand, der so tobt, einfach in die Beruhigungszelle gesteckt wird. Es hätte auf jeden Fall ein Psychologe, ein Arzt oder der Ansprechpartner eingeschaltet werden müssen.

Gab es auch Hinweise auf Mißhandlungen?

Ja, ein Bediensteter hat mir davon erzählt. Ich konnte das zunächst gar nicht glauben. Anfang Januar wurde ich zu einem Häftling gerufen, der um einen Freigang kämpfte. Er war vom offenen Vollzug in die Strafhaft versetzt worden. Er hat dann berichtet, daß er von Mißhandlungen wüßte. Noch am nächsten Tag wurde er in den offenen Vollzug zurückversetzt. Ich hatte damals das ungute Gefühl, daß er mundtot gemacht werden sollte. Den Eindruck hatte ich häufiger. Die Häftlinge wurden mit Freigängen oder Urlaub belohnt, damit sie die Klappe hielten.

Warum glauben Sie, ist die Situation in Oslebs so eskaliert?

Das ist ganz schlicht: Die Anstaltsleitung hatte die Führung nicht im Griff. Egal wie man es wendet: Wenn der Anstaltsleiter nicht weiß, was in seiner Anstalt los ist, ist das genauso schlimm, wie wenn er es weiß und nichts tut. Hoff war menschlich nicht in der Lage, mit den Gefangenen und Beamten umzugehen.

Das sind harte Vorwürfe, haben Sie konkrete Anhaltspunkte?

Ich habe die Berichte der Beamten und der Gefangenen gehört. Die Gefangenen haben gesagt, daß ihnen der rote Faden gefehlt hätte, an dem sie sich hätten orientieren können. Freigang, Urlaub oder andere Vergünstigunen hatten immer etwas damit zu tun, daß man sich etwas erkauft hatte. Das war Willkür.

Haben sich Beamten über die Anstaltsleitung geäußert?

Sie haben darüber geklagt, daß man mit Hoff nicht richtig zusammenarbeiten konnte. Er hätte kaum Kontakt zu den Beamten gehabt und sich auch nicht für ihre Sorgen interessiert. Dabei ist das besonders wichtig: Jemanden, dem man vertraut, dem gibt man auch Informationen. Und daran hat es in Oslebshausen ja wohl gemangelt.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat einen Vollzugsbeauftragten gefordert. Schließen Sie sich dieser Forderung an?

Nein. Ich glaube, wenn die Spitze in Ordnung ist, braucht man den nicht. Das ist eine Frage der Führung.

Interview: Kerstin Schneider