Glückwunsch, toter Briefkasten

Diskutieren ist okay, aber immer schön im Konjunktiv bleiben: arte feiert am 30. Mai seinen fünften Geburtstag, doch die dringend benötigte Reform ist immer noch nicht absehbar  ■ Von Ulla Küspert

„Wir sind das Monaco unter den europäischen Medienanstalten“, sagt arte-Gewchäftsführer Hans- Günther Brüske, was nicht einer gewissen Komik entbehrt. Schließlich ist die Souveränität des Fürstentums entscheidend eingeschränkt und der Regierungschef fremdbestimmt.

Aus deutscher Sicht ist das auch bei arte so. Und deswegen möchte man die Senderspielregeln zum fünften Geburtstag gern nachbessern. Denn während in Frankreich das dort bereitgestellte Budget durch die arte-Gesellschaft La Sept ungeschmälert für den Kulturkanal verwendet wird, haben ARD und ZDF ein hochkompliziertes System von Zulieferquoten und Kompetenzen geschaffen, um den größtmöglichen Teil der jährlich 210 Millionen Gebührenmark für arte in die eigenen Kassen umzuleiten.

Mittlerweile machen sich die Macht- und Verteilungskämpfe nicht nur im Programm unangenehm bemerkbar. Der deutsche Hauptverantwortliche, Vizepräsident Jörg Rüggeberg, gilt senderintern als „König ohne Land“, der mangels Befugnissen wenig zu melden hat. Auch lassen sich die mageren deutschen Reichweiten von durchschnittlich 0,3 Prozent kaum länger mit der Platitüde vom „hochwertigen Minderheitenprogramm“ bemänteln – denn das Quotenloch ist hausgemacht: Zwar werben ARD und ZDF ungeniert auf arte für die eigenen Programme, tun aber auf den eigenen Frequenzen so gut wie nichts für den binationalen Sender, damit vorgezogene Filmpremieren auf arte möglichst unbemerkt über den Sender gehen. Zuschauer will man erst, wenn die selben Produktionen, in denen viel arte-Geld steckt, zum zweitenmal laufen – dann aber in der „ersten Reihe“. Verschwiegen wird wohl auch gern, daß auf arte recht populäre Serien laufen wie „Liebling Kreuzberg“ (21 Folgen, ARD/SFB) oder „Sperling“ (ZDF), dazu demnächst womöglich „Die Gerichtsreporterin“ oder „Kir Royal“.

Bezeichnend für die deutsche arte-Politik dürfte auch sein, daß die wachsame Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) vor zwei Jahren einen auf gut 100 Millionen Mark angeschwollenen Sparstrumpf rüffelte, den sich die arte-„Fürsten“ von ARD und ZDF ausgerechnet in der Aufbauphase des Senders unter die Matratze gesteckt hatten.

Auch dieses Jahr droht arte ein Geburtstag ohne Geschenke: Offiziell ließ der NDR, dessen Intendant Jobst Plog auch Präsident der deutsch-französischen arte-Mitgliederversammlung ist, lediglich verbreiten, daß darüber nachgedacht werde, den Programmeinstieg auf 20.15 zu verlegen (bisher wegen der französischen TV-Sitten 20.45 Uhr) – ein kleines Zugeständnis an die deutschen Fernsehgewohnheiten. Daß sich hinter den Reformvorschlägen diesmal eventuell mehr verbergen könnte als ein Geburtstagsbonbon, offenbarte ein ausgemachter Nichtfreund Plogs. Auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes plauderte arte-Vizepräsident Rüggeberg aus dem Nähkästchen und über „drohenden Stillstand“. Die internen Vorstandspapiere einer arte-Klausurtagung Anfang April in Hamburg waren denn auch deutlich und zeichneten vom Proporzgebilde „arte-Deutschland“ das Bild eines toten Briefkastens: Die Sendezentrale in Straßburg habe „große Schwierigkeiten, ihre redaktionelle Linie homogen zu halten“, hieß es, weil sie nicht nach Inhalten auswählen könne, sondern von den Quoten der Sender abhängig sei. Und die pochen nach wie vor auf ihre Anteile am arte- Topf. Für das wenige, was die Straßburger überhaupt selber machen dürfen, werden sie so knapp gehalten, daß sie entweder verzichten – oder betteln gehen müssen. Wie jüngst, als für eine fünfteilige „Reportage“-Reihe die Arbeit eines polnischen Kollegen zugekauft werden sollte – das Projektbudget aber bereits durch die vier Zulieferstücke aufgezehrt war.

„Im Endeffekt lautet die Grundsatzfrage“, so das Diskussionspapier, „ob man arte nach den Jahren des Aufbaus zu einem echten eigenständigen, unabhängigen, ehrgeizigen Sender machen will. Lautet die Antwort ,Ja‘, gilt es, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, was Änderungen bei den Entscheidungs- und Finanzierungsprozessen mit sich bringt.“

Daß die Antwort, gemäß dem arte-Gründungsauftrag, „Ja!“ zu lauten hat, hatte die Politologin und Medienexpertin Inge Gräßle artes Rabeneltern nach einer umfangreichen, wissenschaftlichen Untersuchung bereits vor zwei Jahren hinter die Ohren geschrieben und Egoismus und Etikettenschwindel beklagt. Doch noch hat es – „same procedure as every year“ – fast zu jedem arte-Geburtstag Klausuren und Papiere zuhauf gegeben, ohne daß die für die Zieheltern lukrative „Menage“ als solche in Frage gestellt worden wäre.

Auch diesmal ist die Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ bereits impliziert: Der Straßburger Zentrale werden auch künftig nur die bisherigen „begrenzten Mittel“ zugestanden und keinerlei zusätzliche Produktionsaufgaben erlaubt. Sie soll lediglich aus dem ohnehin für Programmkäufe bestimmten Topf für zehn Prozent mehr Sendezeit selber Programm kaufen dürfen.

Und weiter geht's im Konjunktiv: Für das undefinierbare „arte- Deutschland“ in Baden-Baden „bestünde die radikalste Lösung darin, sämtliche deutsche arte-Finanzmittel dort zusammenzufassen“ – doch wahrscheinlich wolle man nicht so weit gehen. Auch „könnte man die Frage stellen“, das starre Zulieferquotensystem ganz abzuschaffen, eher aber „könnte [es] angepaßt“ werden; „interessant wäre“, Baden-Baden die Beschaffung von 30 Prozent arte-Programm zu überlassen, „das würde Wettbewerb zwischen den einzelnen Anstalten schaffen“ mit der Folge, „daß man aus den besten Vorschlägen auswählen könnte“. Vielleicht.

Den deutschen arte-Vize könnte man in Personalunion auch Geschäftsführer von arte- Deutschland werden lassen, damit er ein wenig besser dasteht als bisher. Denn der stiefmütterliche Umgang mit arte dokumentiert sich auch an der arte-Spitze: Eigentlich sollte die Präsidentschaft laut Reglement alle zwei Jahre zwischen den Ländern wechseln. Statt dessen ist der taktisch beachtlich versierte Ämtersammler Jérôme Clément bislang „ewiger“ arte- Präsident und in Personalunion auch Präsident von La Sept und der neuen Fusionsgesellschaft La Sept/La Cinquième.

Doch für all dies müßten die arte-Mitgliedssender von ihren Pfründen lassen und sogar ihr liebgewonnenes Vertragsgeflecht substantiell revidieren. Das steht auch dieses Jahr nicht zu erwarten, weshalb arte-Geschäftsführer Hans- Günther Brüske vielleicht doch recht hat: arte ist das Monaco der europäischen Medienanstalten, neuer Wurf, neues Glück – same procedure next year.