Spannung im Abseits

■ Zum Abheben: Adrian Schiess im Bremerhavener „Kabinett“

Bremerhavens „Kabinett für aktuelle Kunst“liegt im Abseits. Es liegt so sehr im Abseits, daß sich in diesen Raum im Erdgeschoß der Kunsthalle kaum jemand verirrt. Es sei denn, er sucht gezielt die Kunst hinter der großen Fensterfront, die den schmalen, ladenförmigen Raum nach außen öffnet. In der Stadt führt das Kabinett seit 30 Jahren eine Nischenexistenz. Doch in renommierte Kunstzeitschriften strahlt es dafür desto stärker hinein.

Kunsthallen-Chef Jürgen Wesseler hat fast alle großen Namen der internationalen Minimalisten-Szene, der Informellen und Arte-Poveristen in sein Kabinett gebeten. Sie drückten sich in den 70er und 80er Jahren die Klinke in die Hand. Nach längerer Pause hat der Schweizer Künstler Adrian Schiess jetzt den kahlen, weißen, neonbeleuchteten Ladenraum gestaltet.

Mit wenigen Mitteln verwandelt er ihn in eine flüchtige, poetische Phantasie. Er hat auf zwei gegenüberliegenden Wänden in Augenhöhe je zwei unförmige, kleine Flächen aus bemaltem Papier aufgeklebt. Die Kanten sind zum Teil gerissen, die zarten Aquarellfarben zerlaufen, das Papier ist so dünn, daß es nach Ende der Ausstellung nicht mehr abgenommen werden kann. Es wird überpinselt werden. Wer draußen vor dem Fenster steht, wird an dieser leisen Kunst vorbeigehen, aber wer den Raum – am besten allein – betritt, spürt die Spannung, die Schiess mit seinen Fragmenten herstellt.

Der in Zürich geborene Künstler ist gewohnt, Kirchen, Barock-Paläste, venezianische Villen, große Kunsthallen oder die Documenta zu bespielen. Im Bremerhavener Abseits thematisiert er sehr leicht und verspielt, die Zerbrechlichkeit dessen, was Kunst heißt. Wer sich dem aussetzt, wird zwischen den Bildflächen von Schiess abheben, wegschweben und doch wieder auf den Raum und die Stadt drumherum verwiesen. Und wer das Kabinett verläßt, wird sich fragen, was da mit ihm geschehen ist. Der Ort, der am Ort kaum Resonanz erntet, der mit Adrian Schiess eine lautlose Musik erzeugt, ist (noch) ein Geheimtip. Hans Happel

Adrian Schiess im „Kabinett für aktuelle Kunst“, bis zum 22. Juni