Die Böll-Stiftung lernt endlich laufen

Lange wurde um die Zusammenlegung dreier grünennaher Stiftungen gestritten. Im Juni startet die neue Heinrich Böll-Stiftung in die Zukunft. Ein Schwerpunkt ist die Auslandsarbeit  ■ Von Jürgen Gottschlich

„Von hier aus hat man einen tollen Überblick über die gesamte Berliner Mitte. Der Platz ist einfach optimal.“ Ralf Fücks, der frühere Bremer Umweltsenator, ist begeistert. „Für eine politische Stiftung, wie wir uns sie vorstellen, sind die Hackeschen Höfe genau der richtige Platz.“

Ralf Fücks hat seit Mitte letzten Jahres einen neuen Job. Er ist einer von drei Vorständlern, die seitdem die Geschäfte der neuen, den Bündnisgrünen nahestehenden Heinrich Böll-Stiftung führen. Seit Juni letzten Jahres sind Ralf Fücks, als prominenter West-Grüner, Petra Streit, Ostfrau und frühere Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes, und Claudia Neusüß, Politologin, Westberliner Feministin und Mitgründerin der Frauengenossengeschaft WeiberWirtschaft, damit beschäftigt, die ehemals drei grünennahen Parteistiftungen zu einer neuen, einheitlichen Stiftung zu fusionieren. Eine oft undankbare Aufgabe, die an den Nerven zehrt, viel Kraft kostet und zudem den Nachteil hat, von außen kaum wahrgenommen zu werden. „Bis jetzt“, sagt jedenfalls Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus, „haben wir hier noch nichts davon bemerkt, daß die grüne Parteistiftung nun in Berlin ist.“

Fücks wundert das nicht. „Wir konnten bisher nur punktuell Außenwirkung entfalten, weil wir mit dem organisatorischen Neuaufbau völlig eingedeckt waren.“ Hinter dem scheinbar harmlosen Begriff „Fusion“ verbirgt sich ein langjähriger, zäher Kampf.

Als die Bundesdelegiertenkonferenz der Bündnisgrünen im letzten Frühjahr nach zwei Jahren teilweise erbitterter Debatten endgültig die Zusammenlegung ihrer bisherigen drei Stiftungen beschloß, waren für die Umsetzung des Vorhabens kaum Voraussetzungen geschaffen worden.

„Außer einem völlig illusionären Sozialplan und der neuen Satzung hatten die diversen Reformgruppen kaum etwas Handfestes vorbereitet.“ Folglich gingen die neugewählten VorständlerInnen erst einmal auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft. Fündig wurden sie in den gerade erst aufwendig restaurierten Hackeschen Höfen am Ende der Oranienburger Straße, einer der Ecken in Berlins Mitte, wo das Leben pulsiert.

Während über drei Etagen gebaut wird, sind einige Büros bereits bezogen. Von den insgesamt 125 Leuten, die Ende des Jahres hier arbeiten sollen, sind 25 bereits da. 85 Stellen werden durch Mitarbeiter aus den bisherigen Stiftungen besetzt, rund 40 neue Leute kann der Vorstand noch einstellen. „Das ist unser Gestaltungsspielraum“, meint Fücks, der von den vielen Personalgesprächen in den letzten Monaten geschafft ist.

Grundsätzlich sollte jedeR MitarbeiterIn der bisherigen drei Stiftungen – Buntstift, Frauen-Anstiftung und Böll-Stiftung – die Möglichkeit haben, nach Berlin mitzugehen. Für alle, die sich dagegen entschieden, wurde ein Sozialplan ausgehandelt, der, obwohl gegenüber der ursprünglichen Version abgemagert, immer noch allgemein als „fair und großzügig“ eingestuft wird. Zu großzügig, meinen einige, denn unter anderem deshalb ist im laufenden Haushaltsjahr kaum noch Geld da.

Die Probleme der Fusion erschöpfen sich aber nicht in praktischen Umzugsschwierigkeiten und dem Umgang mit den Mitarbeitern. Wie auch bei den anderen parteinahen Stiftungen – Adenauer (CDU), Ebert (SPD) Seidel (CSU) und Naumann (FDP) – umfaßt die Arbeit im Prinzip drei Bereiche: die Vergabe von Stipendien, Bildungsarbeit im Inland und Kooperationsprojekte im Ausland. In der Regel gibt es bei den Auslandsprojekten längerfristige vertragliche Bindungen, die auch von der neuen Stiftung eingehalten werden müssen. Die Stipendiate sind bereits zusammengeführt, Neuanträge kommen in diesem Jahr aber kaum noch zum Zuge. Von den 54 Millionen Mark, die die Böll-Stiftung 1997 aus Bundesmitteln erhält (das sind 9 Prozent der Gelder, die insgesamt an die fünf Parteistiftungen verteilt werden), sind rund 60 Prozent projektgebundene Auslandsmittel. Rechnet man die Stipendien und andere festgelegte Projektmittel dazu, bleiben unter dem Strich rund 15 Millionen sogenannter Globalzuschüsse, um deren Verwendung gestritten werden kann.

Nach Abzug der Personal- und Sachkosten blieben 1997 noch 7 Millionen für die politische Arbeit im Inland. Der Böll-Stiftung angeschlossen sind 16 Landesstiftungen, also für jedes Bundesland eine. Diese Landesstiftungen wurden bislang im Buntstift koordiniert. Der Buntstift war in dem früheren Dreiermodell für die Basisarbeit zuständig, die Frauenanstiftung galt als besonders parteifern und nur mit ihren eigenen Vorlieben beschäftigt und die frühere Böll-Stiftung als ein bißchen elitär und kulturverliebt.

Das Problem ist, daß alle ihre bisherigen Herzensangelegenheiten weiterverfolgen wollen, die neue Böll-Stiftung aber mit ganz anderen Erwartungen konfrontiert ist. Darüber hinaus kommen mit einer Grünen Akademie und einem Feministischen Institut noch zwei Kostenfaktoren dazu. Nach der Fusion fürchten nun vor allem die Länderstiftungen um Einfluß und Finanzen. Die 3,4 Millionen, die sie 1997 überwiesen bekamen, sind zwar in absoluten Zahlen mehr als im Vorjahr – allerdings stieg das Budget auch insgesamt um 20 Prozent. Proportional bemessen am Gesamtkuchen, bekommen sie deshalb weniger als zuvor. Obwohl der bisherige Geschäftsführer von Buntstift, Andreas Poltermann, meint, „unter dem Strich können die Länder hochzufrieden sein“, macht sich doch Unmut breit. So vermißt die Geschäftsführerin der brandenburgischen Landesstiftung, Katrin Werlich, „Synergieeffekte“ bei der Fusion. Warum, so fragt sie, braucht man in Berlin genauso viele Stellen, wie vorher in den drei Stiftungen vorhanden waren. Auch Poltermann räumt ein, daß viele Ländervertreter nicht einsehen, warum die Böll-Stiftung sich jetzt noch ein Feministisches Institut und eine Grüne Akademie zulegen muß, statt das Geld für Basisarbeit zu verwenden.

Doch unter anderem darin, darauf besteht Ralf Fücks, soll sich ja das Neue an der neuen Böll-Stiftung zeigen. Fücks will, daß die Stiftung in Zukunft mehr eigene Akzente setzt, statt hauptsächlich Gelder an andere Projekte zu verteilen. „Bei der Arbeit der drei Stiftungen sind zentrale innenpolitische Politikfelder zu kurz gekommen. Die Ökologiefrage fiel fast völlig unter den Tisch.“ Auch Frieder Wolf von der alten Böll-Stiftung bestätigt: „Arbeit und Soziales waren unsere Schwachstellen.“ Einen ersten Akzent zur Beseitigung dieser Schwachstelle will die neue Böll-Stiftung nun am kommenden Wochenende mit einem großen Kongreß über „Wege aus der Wachstumsfalle“ in Hamburg setzen. Die Inlandsabteilung der Stiftung soll zukünftig größere Kongresse und Veranstaltungen organisieren, die bundesweite Beachtung finden und Einfluß auf die intellektuelle Debatte des Landes nehmen. Damit entspricht die Stiftung einer dringenden Erwartung der Partei. Einer der Gründe, warum der Bundesvorstand der Bündnisgrünen vor drei Jahren auf die Fusion drängte, war die mangelnde politische Präsenz der drei Einzelstiftungen in der öffentlichen Debatte. „Die haben“, beklagte sich der frühere Parteisprecher Ludger Volmer damals, „nicht eine Veranstaltung auf die Beine bekommen, die bundesweit ein für die Grünen wichtiges Thema gepuscht hätte.“ Voller Neid blickte der bündnisgrüne Vorstand auf die Konkurrenz bei der SPD, deren Friedrich Ebert-Stiftung wirkungsvolle Unterstützung für die Partei leiste. Wolfgang Wieland beklagt bis heute, die Ebert-Stiftung sei „viel aktiver als wir“.

Der Verweis auf die Ebert-Stiftung ist für Fücks in mehrfacher Hinsicht eine Provokation. Zum einen kann man die Böll-Stiftung mit der ungleich größeren Ebert-Stiftung fairerweise nur schwer vergleichen. Zum anderen sind die Grünen bei allen Diskussionen ja immer davon ausgegangen, mit der Stiftung keine verkappte Parteifinanzierung betreiben zu wollen. „Das Verhältnis zur Partei“, sagt Fücks, „ist gut. Aber wir machen keine Auftragsarbeit. Die Stiftung ist autonom, und darauf legen wir großen Wert – nicht nur aus rechtlichen Gründen.“ Strategiepapiere für den Wahlkampf können die Grünen von der Böll-Stiftung nicht erwarten – ganz abgesehen davon, daß die Bundestagswahl im kommenden Jahr „für uns sowieso viel zu früh kommt“. Frieder Wolf von der alten Böll-Stiftung ist stolz, daß es gelungen ist, bei der personellen Besetzung den sonst üblichen Grünen-internen Strömungsproporz abzuwehren. Und auch Gunda Werner von der Frauenanstiftung sieht das Verhältnis zur Partei gelassen: „Ich kann keine Übergriffe feststellen.“

Grundsätzlich sieht der Vorstand der Böll-Stiftung die Chance seiner Organisation vor allem in der Bearbeitung von Langzeitthemen, weg von den kurzatmigen politischen Konjunkturen. „Die Umsetzung und Durchführung einer Ökosteuerreform ist so ein Thema.“ Den Touch zum Grundsätzlichen unterstreichen auch die beiden beabsichtigten Neugründungen, Grüne Akademie und Feministisches Zentrum. Beide sind zwar über die Einrichtung von Konzeptionsgruppen noch nicht hinausgekommen, sollen aber unbedingt realisiert werden. Zumindest das Feministische Zentrum hat durch die Frauenanstiftung eine starke Lobby.

Gunda Werner, bisher in der Geschäftsführung der Frauenanstiftung in Hamburg, ist denn auch leicht verärgert, daß das Institut immer noch lediglich auf dem Papier steht.

Sie hat das Gefühl, immer wieder vertröstet zu werden, weil erst einmal die Projekte und Personen, die es schon gibt, bedient werden. „Uns sagt man dann, ja, wir würden ja gerne, aber es ist leider kein Geld da.“ Die drei Millionen, die das Institut ihrer Meinung nach jährlich benötigt, sieht sie auch in den kommenden Jahren nicht. „Im Haushaltsplan für 1998 jedenfalls sind 200.000 Mark vorgesehen.“ Ihre Kollegin Helga Braun, die die Konzeptgruppe Feministisches Institut leitet, ist optimistischer: „Für das kommende Jahr sind uns vier Stellen versprochen worden, damit könnten wir schon etwas anfangen.“

Der eigentliche Zankapfel zwischen Partei und Stiftung aber dürfte der prestigeträchtige Teil der Auslandsarbeit werden. Von Jürgen Trittin stammt der Satz, er erwarte, daß ihn zukünftig ein Mitarbeiter der Stiftung in Washington am Flughafen abholt und über die aktuelle innenpolitische Situation in den Vereinigten Staaten informiert.

Tatsächlich ist es so, daß keine der drei Stiftungen bisher ein Büro in Washington hatte, so wenig wie in Brüssel oder Moskau. Dafür gab es in Prag gleich mehrere Projekte, die die drei Stiftungen unabhängig voneinander betrieben. Auch in anderen Weltregionen traf man sich des öfteren zufällig mal auf dem Flughafen. Damit ist jetzt Schluß. Die Auslandsaktivitäten, das betonen alle Beteiligten übereinstimmend, sind erfolgreich abgestimmt und zusammengeführt worden.

In Brüssel und Washington werden Büros eingerichtet, in Moskau die Zusammenarbeit mit der Memorial-Gruppe verstärkt. Auch in Johannesburg ist ein neues Büro eingerichtet worden, und vielleicht schafft die Stiftung es ja noch, auch in Istanbul Flagge zu zeigen. Andreas Poltermann von Buntstift hat kein Problem damit, gewisse Serviceleistungen für die Partei zu übernehmen, „wenn sich das in einem vernünftigen Rahmen hält“.

Daß die Auslandsbüros der Stiftung auch eine Ressource für grüne Außenpolitik sind, hält auch Fücks für selbstverständlich. „Aber nicht exklusiv. Wir wollen auch mit NGOs und Abgeordneten anderer Parteien zusammenarbeiten. Es gibt ja viele Wege, um auf die Richtung der Außenpolitik Einfluß zu nehmen.“ Bis es soweit ist, werden noch etliche Probleme auftreten. Das nächste kommt am 21.Juni. Dann soll offiziell fusioniert werden. Und dann, glaubt Frieder Wolf, „fangen die schwierigsten sechs Monate erst an“.

Die Stiftung lädt am 30/31. Mai zur Tagung „Grenzen des Wachstums“ in die Hamburger Handwerkskammer ein. Holstenwall 12, Beginn: 17 Uhr, Infos: (030) 285 340