Schleichende Abschiebung

■ Arrivederci Migrantenprogramme: Die ARD will die fremdsprachigen Hörfunksendungen drastisch verkürzen und auf den späten Abend verlegen

Den Fremdsprachen-Sendungen des ARD-Hörfunks, vor gut 30 Jahren als „Gastarbeiter-Programme“ konzipiert und seitdem eine feste Institution im täglichen Programm, steht ein Tod auf Raten bevor. Auf ihrer Sitzung am heutigen Mittwoch im beschaulichen Schwetzingen werden die Hörfunkdirektoren über die Zukunft dieses Programms beraten, das Migranten aus den traditionellen „Gastarbeiterländern“ wie der Türkei, Italien oder Griechenland täglich jeweils vierzig Minuten Nachrichten, Service und Diskussion in ihrer Heimatsprache bietet. Bisher wurden diese Sendungen ab 19 Uhr ausgestrahlt, interne Konzeptpapiere sehen jetzt eine Abschiebung auf einen zwei Stunden späteren Sendeplatz vor – nach 21 Uhr, also zur besten Fernsehzeit. Zudem soll die Sendezeit auf 20 Minuten halbiert werden. Schon jetzt beklagen türkische und italienische Journalisten, daß die Hörerzahlen nach 20 Uhr rasant abnehmen.

Vor allem für das türkischsprachige Programm wäre das der sichere Weg in die Bedeutungslosigkeit. Denn das einzige muttersprachige Medienangebot unter öffentlich-rechtlicher Kontrolle müßte sich dann in Konkurrenz zum Abendprogramm des staatlich gelenkten, nationalistisch gefärbten Fernsehens made in Ankara begeben. Ein aussichtsloses Unterfangen.

Losgetreten haben die Debatte der MDR und der ORB. Bereits im letzten Jahr stiegen sie – „mangels eines entsprechenden Bedarfs in unserem Sendegebiet“ – aus der Finanzierung des fremdsprachigen Gemeinschaftsprogramms aus, das der Bayerische Rundfunk (italienisch, griechisch und spanisch) und der WDR (türkisch, italienisch, serbisch, kroatisch, bosnisch) für die ARD produzieren. Anderen Rundfunkanstalten war dieser Ausstieg gar nicht unlieb, ein Anlaß, die als „nicht mehr zeitgemäß“, „ghettoisierend“ und „integrationshemmend“ abgekanzelten Fremdsprachensendungen ins Abseits zu schieben.

Beim WDR, wo die Fremdsprachensendungen im fünften Programm laufen, kollidiert der Fremdsprachen-Block zudem mit der im Herbst geplanten Umstrukturierung der Welle. Türkische Musik, zahlreiche Tips zur Rentenversicherung auf italienisch oder Informationen über Rückkehrhilfen für bosnische Flüchtlinge – das paßt nicht so recht zum Image als „intellektuelles Flaggschiff“ der Welle.

Noch vor einigen Jahren hatten die Fremdsprachensendungen bei ihren Zielgruppen Traumeinschaltquoten zwischen sechzig und siebzig Prozent. Seit ein Dutzend heimische TV-Programme über Satellit zu empfangen sind, ist die Resonanz zwar drastisch gesunken, doch nach wie vor sind die muttersprachigen Programme – vor allem für die älteren Migranten – das einzige Medienangebot überhaupt, das eine Brücke zur deutschen Gesellschaft schlägt. Vera Gaserow