Siegende Töchter etc.
: Futter außen als Diskurs

■ Junge Modemacher erhalten in Paris eine Chance, aber vorerst nur auf Probe

Die Herren der großen französischen Modehäuser haben es entsetzlich schwer! Denn sie werden brutal hin und hergerissen zwischen ihren Ehefrauen und ihren Töchtern. Die einen verlangen, daß sie Designer einstellen, die so schöne Taschen machen wie die Italiener, und die anderen fordern mehr Avantgarde. So berichtete es kürzlich jedenfalls Le Monde. Bei Hermes haben jetzt die Töchter gesiegt. Kürzlich hat der Belgier Martin Margiela, 40, seinen Vertrag als neuer Designer von Hermes unterschrieben. Margiela kam Ende der achtziger Jahre nach Paris und verblüffte die Franzosen mit Kleidern, deren Futter nach außen gewendet war ebenso wie Nähte, Abnäher und was sonst noch in der Regel innen gut versteckt ist. Das hatte Rei Kawakubo zwar schon vor ihm getan, aber sie war immer zu unordentlich, zu sehr von der Kunst inspiriert, um bei den Franzosen wirklich anzukommen. Margielas Arbeiten sehen dagegen aus wie ein intellektueller Diskurs. Mit anderen Worten: Er hat mehr Methode. In seiner letzten Kollektion heftete er hinreißend drapierte Chiffonbahnen auf Oberteile aus einem sackähnlichen Stoff, der dem Torso einer Schneiderpuppe nachgebildet war. Er drapierte beileibe kein ganzes Kleid, sondern immer nur eine Bahn.

Die Entscheidung von Hermes-Präsident Jean-Louis Dumas war nicht nur mutig, sondern auch klug. Bei den Schauen im nächsten März, wenn Margiela seine erste Hermes-Kollektion vorstellt, wird es ein Gedränge geben wie sonst nur bei Dior. Andererseits ist das Risiko nicht allzugroß: Hermes macht zwar einen Umsatz von 1,2 Milliarden Mark, aber die Prêt-à-porter- Mode hat daran nur einen Anteil von 13 Prozent. Das meiste Geld kommt mit den Schuhen, den Taschen und den Tüchern. Außerdem gibt es neben Margiela noch einen zweiten Designer, Thomas Maier.

Der Generationswechsel in den Pariser Modehäusern schreitet munter voran. Die meisten sind Mitte dreißig wie John Galliano (Dior), Frederic Molenac (Gres), Josephus Melchor Thimister (Balenciaga) und Ocimar Versolato (Jeanne Lanvin). Die Jüngsten in der Riege sind Alexander McQueen, 27, (Givenchy) und die 23jährige Stella McCartney (Tochter von Paul), die jetzt Chloä übernehmen wird. Bekommt die Jugend also tatsächlich eine Chance? Ja, aber eine ziemlich kleine. Die neuen Designer haben in der Regel alle nur Zwei-Jahres-Verträge. Wenn ihre Kollektionen also nicht sofort einschlagen, sind sie augenblicklich weg vom Fenster. Narcisso Rodriguez, der vor zwei Jahren Cerruti übernahm, ist bereits gefeuert worden. Sein einziger Coup war das vielgelobte Hochzeitskleid der Kennedy-Braut. Und es gibt Gerüchte, daß auch Balenciaga wieder einen neuen Chefdesigner sucht. Thimister hatte bei den Prêt-à-porter- Schauen im März eine wunderbar unkonventionelle Kollektion gezeigt, in der er die Oxfordhosen propagierte. Hat sich wohl nicht so gut verkauft. Viel Spielraum für neue Ideen gibt es für die jungen Designer offenbar nicht.

Im Gegensatz zu Galliano, der sein eigenes Haus an Dior verkaufte, hat Martin Margiela sein Haus sicherheitshalber behalten. Damit macht er zwar nur zehn Millionen Mark Umsatz, aber was dort entsteht, ist jedenfalls seins. Anja Seeliger