Ein typischer Wessi

■ Krebsforscher, Erfinder, Bourgeois im real existierenden Sozialismus: Manfred von Ardenne ist tot, er blieb bis zuletzt ohne Selbstzweifel. Ein deutsches Schicksal?

Der „Baron vom Weißen Hirsch“ ist am Montag nachmittag in Dresden gestorben. Über 90 Jahre alt war Manfred von Ardenne und ein deutsches Phämomen. Er war Bourgeois und gleichzeitig Aushängeschild der SED. Vom Wunderkind in der Weimarer Republik zum Rüstungsforscher bei den Nazis wandelte er sich nahtlos zum Atombombenforscher unter Stalin.

Ardenne stammte aus einer dieser Familien, die immer ein bißchen bedeutender als andere waren. Seine Großmutter Elisabeth Edle und Freiin von Phlotho ließ sich 1887 nicht einfach scheiden und ward dann vergessen – sie gab Theodor Fontane die Vorlage zu Effi Briest. Anders als Effi bei Fontane ließ sie sich allerdings nicht unterkriegen, schulte von einer gelernten Adligen zur Krankenschwester um und starb in hohem Alter bei Lindau. Auch Manfred von Ardenne hatte immer etwas mehr realistischen Weitblick als andere. Mit seinem Vater, einem Oberregierungsrat im Kriegsministerium, kam er aus Hamburg nach Berlin. Das Gymnasium verließ er bereits mit 16 Jahren, um in einer feinmechanischen Werkstatt zu lernen – schließlich meldete er in diesem Jahr schon das erste von insgesamt 600 Patenten an. Auch die Uni brach das naturwissenschaftliche Wunderkind nach einem Jahr wieder ab, um sich als Autodidakt neben seinen Tüfteleien weiterzubilden. Er entwickelte eine neue Elektronenröhre, ein klobiger Vorfahre der Transistoren, mit der dann die berühmten Loewe-Opta-Radioempfänger hergestellt wurden, Vorbild für die Volksempfänger des Dritten Reiches.

Mit den Lizenzen seiner Patente verdiente Ardenne erstmals richtig Geld und konnte mit 21 Jahren schon ein eigenes Laboratorium für Elektronenphysik errichten. Der Jüngling stellte 1931 auf der Berliner Funkausstellung das erste elektronische Fernsehen vor und verfeinerte – nun schon unter den Nazis – die Technik der Elektronenmikroskope, mit denen die Physiker damals begannen, die Oberfläche von Metallen abzutasten oder Viren zu fotografieren.

Es bahnte sich eine nahtlose deutsche Karriere an. Von einem cleveren Sprößling einer privilegierten Familie des Kaiserreichs zum gefeierten deutschen Techniker. Der Baron war zwar anscheinend zu sehr von sich überzeugt, um ein glühender Verfechter der Nazis zu sein. Aber gearbeitet hat er gerne für die Rüstung, schließlich fiel von den üppigen Rüstungsmillionen des Dritten Reiches so einiges für die Forschung ab. Das Kriegsende erlebte Manfred von Ardenne bang in seinem Laborbunker in Berlin-Lichterfelde. Samt Ausrüstung, jedoch ohne Familie, hatte er sich verschanzt und die Ausgänge sogar mit Tränengasampullen gegen eindringende Sowjets gesichert. Während draußen der totale Krieg tobte, war Ardenne inzwischen mit Grundlagenforschung zur Atomenergie und Atombomben beschäftigt.

Der Krieg, die Forschung im bombensicheren Bunker – eine Gelegenheit zum Grübeln über die Verantwortung für das eigene Tun? Für Ardenne scheinbar nicht. Mit einigen Kollegen hatte er vielmehr verabredet, sich gegenseitig bei den Sowjets als brillant und kriegswichtig zu empfehlen, je nachdem, wer von den vorher so gefürchteten Roten zuerst aufgegriffen wurde. Stalin holte denn auch die deutschen Ingenieure und Physiker in die Sowjetunion, um sie Bomben und Raketen für den Kalten Krieg bauen zu lassen, und Manfred war vorne mit dabei: „Den soeben geäußerten Vorschlag betrachte ich als eine große Ehre für mich“, hat er nach eigenen Erinnerungen geantwortet, als Stalins berüchtigter Geheimdienstchef Berija ihn gefragt hatte, ob er einer der Institutsdirektoren für die Bombenforschung werden wolle.

Mit den Forschungen klappte es nicht ganz so toll, wie Ardenne sich das vorgestellt hatte. Trotz einiger fachlicher Rückschläge erhielt er aber immerhin den Stalinpreis 2.Klasse. Und er organisierte seine Rückkehr nach Deutschland. Mit den Rubeln aus dem Stalinpreis und dem Nimbus als renommierter Sowjetforscher luchste er der SED eine ganze Anzahl von Villen im Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch ab. Ab 1955 residierte er samt Chauffeur und Dienstlimousine über den normalen Werktätigen und forschte nun hauptsächlich an verschiedenen, teilweise umstrittenen Krebstherapien.

Vom Westen aus betrachtet war er so der ultimative Wessi. Mit 500 Angestellten der größte Privatunternehmer der DDR, verkaufte er sich als genial, auf jeden Fall als herausragend, im schlimmsten Fall als verkannt. Und als schließlich die Wende kam, war er mit der üblichen Überzeugung wieder mit dabei: Im Oktober 1989 forderte er im Dresdner Kulturpalast mehr Demokratie und „Leistung muß sich lohnen“.

Ein deutsches Schicksal? Auf diese Frage hat er einmal mit „einem Zitat meines Freundes Konrad Lorenz“ geantwortet: „Ich hab' immer nur das getan, was mir Spaß gemacht hat. Den Rest hat meine Frau erledigt.“ Reiner Metzger