"Der Verrat liegt nicht bei mir!"

■ Justine Kasavubu, langjährige Oppositionelle gegen Mobutu in Zaire, verteidigt ihren umstrittenen Eintritt in Kabilas Regierung: "Wir müssen uns an der Erneuerung beteiligen"

taz: Sie werden in Laurent Kabilas Kabinett Ministerin für den öffentlichen Dienst. Ihre eigene Partei, die „Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt“ (UDPS) von Etienne Tshisekedi, nennt Sie eine „Verräterin“. Wie finden Sie das?

Justine Kasavubu: Es ist ein bißchen albern. Ich finde, ich gehöre zu jenen, die immer einen beständigen Kurs gefahren haben. Auch als die Opposition Kompromisse mit Mobutu einging, beharrte ich auf der Notwendigkeit, Mobutu von der Macht zu jagen. Also war ich immer in Harmonie mit dem Volk. Der Verrat liegt nicht bei mir!

Tshisekedi sagt, man muß gegen die neuen Machthaber Widerstand leisten.

Wir können nicht zulassen, daß auf eine Diktatur eine neue Diktatur folgt. Aber genauso bringt es nichts, wenn auf eine radikale Opposition eine neue radikale Opposition folgt. Das würde bedeuten, daß wir nicht richtig begriffen hätten, worum es geht. Es gibt in unserem Land heute eine neue Lage. Sicher werfen einige Probleme Fragen auf. Aber wird man die Probleme lösen, indem man grundsätzlich opponiert – oder indem man die Aufgaben anpackt? Im Grunde leiden wir heute an schwacher Führung. Der militärische Sieg der AFDL würde eigentlich der unbewaffneten Opposition zustehen. Aber wieso war ein bewaffneter Kampf nötig, nachdem wir sechs Jahre lang versucht haben, auf dem Wege des Dialogs zu kämpfen? Das kann doch nur bedeuten, daß etwas Neues geschehen ist. Die AFDL ist auf der politischen Bühne aufgetaucht. Was haben wir zu gewinnen, wenn wir sie bekämpfen, anstatt daß wir mit ihr reden, um mit ihr gemeinsam freie Wahlen vorzubereiten?

Aber ist das Problem nicht, daß seit dem Verschwinden des Übergangsparlament kein Forum mehr existiert, wo man über so etwas reden kann?

Ja, aber um so ein Forum herzustellen, müssen sich alle Parteien daran beteiligen. Genau das ist bisher nicht geschehen. Genau darum ist die unbewaffnete Opposition gegenüber Mobutu erfolglos geblieben. Es bedurfte der Waffen, um das zu ändern. Das ist eine äußerst belastende Situation. Aber ich wage zu hoffen, daß es jetzt anstatt eines großen Palavers einen Geist des nationalen Wiederaufbaus gibt, der uns vereint.

Sie waren eine Oppositionsaktivistin. Sie sind für die Prinzipien der Menschenrechte und der Demokratie eingetreten. Nun gibt es Probleme: Politische Parteien sind nicht zugelassen.

Ich urteile nach den Entwicklungen. Wir befinden uns an einem entscheidenden Wendepunkt. Wie immer in solchen Situationen gibt es Schwierigkeiten. Aber sie sollten nicht ewig andauern. Die Wachsamkeit des mündigen Bürgers ist daher nötiger denn je – daß es Kritik gibt, ist normal. Aber ich finde auch, daß wir alle uns an dieser Phase des Wandels und der Erneuerung beteiligen müssen. Es gibt nichts, was Tatenlosigkeit rechtfertigt. Wir haben dafür gekämpft, daß Mobutu geht. Nun ist er gegangen – und können wir die Krise oder die Mißachtung einiger Rechte als Vorwand nehmen, um untätig zu bleiben? Mobutu hat die Macht abgetreten, und nun muß die Opposition einer konstruktiven Haltung den Weg freimachen.

Unter der Bedingung, daß man alle Sichtweisen zuläßt...

Sicher, aber auch dafür sind wir ja da. Man hat uns nicht in die Regierung berufen, damit wir schweigen, sondern damit wir das Land wiederaufbauen. Und das wird im Respekt für die Hoffnungen unseres Volkes geschehen.

Worin werden Ihre ministeriellen Aufgaben bestehen?

Es gibt einen riesigen Reformbedarf. Die Diktatur hat alles zerstört, die öffentliche Verwaltung ist tief geschädigt. Aber es gibt auch einen Bürger- und Verantwortungssinn, den man rehabilitieren muß.

Die Staatsbeamten haben bereits eine konkrete Forderung: Sie wollen bezahlt werden.

Sie können mir vertrauen. Ich trete in diese Regierung mit kritischer Wachsamkeit ein. Ich werde darauf achten, was man mir für Mittel zur Verfügung stellt.

Früher oder später werden internationale Geldgeber von Ihnen verlangen, die Zahl der Beamten zu verringern.

Ja, aber erst einmal müssen wir uns selber überlegen, was wir wollen. Dann muß das Ausland sich anpassen. Wir müssen erst einen Überblick über den jetzigen Zustand bekommen und sehen, was die Beamten selber vorschlagen. Interview: François Misser, Brüssel