„Gründungsakte“ feierlich besiegelt

Rußland und die Nato unterzeichnen Vertrag über die Sicherheitspartnerschaft. Russisches Parlament soll das Abkommen ratifizieren. Jelzin hält an Ablehnung der Osterweiterung fest  ■ Aus Paris Andreas Zumach

Zum zweitenmal in diesem Jahrzehnt wurde gestern in Paris das „Ende des Zeitalters von Jalta und Potsdam“ besiegelt und eine „neue Epoche“ für Europa eingeläutet. In einer feierlichen Zeremonie im Elyséepalast setzten Rußlands Präsident Boris Jelzin und Nato-Generalsekretär Javier Solana sowie die Staats- und Regierungschefs der 16 Nato-Staaten ihre Unterschrift unter die „Gründungsakte über die gegenseitigen Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Russischen Föderation und der Nato“.

Im November 1990, ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer, hatten der Präsident der damals noch existierenden Sowjetunion, Michail Gorbatschow, sowie die Staats- und Regierungschefs der übrigen 34 Mitgliedsstaaten der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) eine „Charta für ein neues Europa“ verabschiedet. In der Charta betonten sie ihre Präferenz für die KSZE (heute OSZE) als wichtigster Institution für Sicherheit und Konfliktbearbeitung in Europa.

Mit der bilateralen Gründungsakte zwischen Nato und Rußland wird diese Absichtserklärung endgültig aufgegeben und die westliche Militärallianz auch von Moskau de facto als wichtigste Sicherheitsinstitution zumindest für Europa anerkannt. In dem neunseitigen Dokument werden in fünf Kapiteln bereits seit dem KSZE-Gipfel gültige Prinzipien der Beziehungen zwischen Nato und Rußland bekräftigt und der institutionelle Rahmen künftiger Zusammenarbeit geregelt. Neben einer ständigen Anwesenheit russischer Diplomaten und Militärattacheś im Nato-Hauptquartier ist das wichtigste Gremium der „gemeinsame Rat Nato–Rußland“.

Er soll monatlich auf Botschafterebene und zweimal jährlich auf der Ebene der Außenminister zusammentreten. Das dritte Kapitel des Dokuments listet künftige mögliche Felder der „Konsultation und Kooperation“ auf. Dazu gehören unter anderem gemeinsame Missionen zur Friedenserhaltung (peacekeeping), wie sie derzeit bereits im Rahmen der Nato-geführten „Stabilisierungstruppe“ in Bosnien stattfinden. Im abschließenden vierten Kapitel vereinbarten beide Seiten, ein Nachfolgeabkommen zum 1990 noch zwischen Nato und Warschauer Pakt unterzeichneten „Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa“ (VKSE) auszuhandeln.

Die damals festgelegten Obergrenzen für konventionelle Waffen sollen in dem Nachfolgeabkommen gesenkt und erstmals Obergrenzen für Truppenstärken vereinbart werden. Schließlich bekräftigt die Nato in dem Dokument ihre Absicht, im Falle einer Aufnahme neuer Mitglieder aus Osteuropa auf deren Territorien keine nuklearen Waffen zu stationieren oder die dazu erforderliche Infrastruktur zu errichten. Bei der Verlegung westlicher Nato-Truppen in neue Mitgliedsstaaten und die Aufrüstung dieser Länder mit konventionellen Waffen sagt die Nato Zurückhaltung zu.

Die Nato hat allerdings darauf bestanden, daß diese Gründungsakte völkerrechtlich nicht verbindlich ist und nicht durch die Parlamente der 16 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muß. Präsident Jelzin will das Dokument jedoch dem Parlament, der Duma, zur Ratifizierung vorlegen und – falls dort Änderungen verlangt werden – diese Änderungswünsche der Nato präsentieren.

Auf die gestern in Paris vielfach gestellte Frage, wie die Nato auf derartige Nachbesserungswünsche aus Moskau reagieren würde, vermieden die 16 Staats- und Regierungschefs und ihre Sprecher eine Antwort. Präsident Jelzin und seine Sprecher und Berater betonten bei zahlreichen Gelegenheiten, daß Moskaus Unterschrift unter die Gründungsakte nicht als Einverständnis mit der geplanten Osterweiterung der Nato zu werten sei.

Nato-Generalsekretär Javier Solana und der Sprecher des US- Außenministeriums, Nicholas Burns, stellten erneut klar, daß Rußland durch die Gründungsakte „keinerlei Mitentscheidungsrechte oder gar eine Vetomöglichkeit in der Nato“ erhalten habe. Mit Blick auf die geplante Nato-Erweiterung betonte Burns, auch einer Mitgliedschaft der baltischen Staaten oder der Ukraine stehe „nichts im Wege“. Präsident Jelzin hatte am Vorabend des Pariser Gipfels erklärt, durch eine Aufnahme ehemaliger Sowjetrepubliken würde die Basis für die gestern unterzeichnete Gründungsakte „zerstört“.