■ Filmstarts à la carte
: Der Tod lauert schon

Nicht zuletzt den einflußreichen französischen Autorentheoretikern mit ihrer Anglophobie haben wir es zu verdanken, daß der amerikanische Thriller den Kriminalfilm britischer Herkunft fast vollständig aus unserem Bewußtsein verdrängt hat. Folglich gibt es in Sachen Insel-Kino noch viel in unseren Breitengraden eher Unbekanntes zu entdecken: Alberto Cavalcantis „They Made Me a Fugitive“ zum Beispiel.

Die Ästhetik des Thrillers aus dem Jahr 1947 verweist zunächst auf den amerikanischen „film noir“: regennasse Straßen in der Dunkelheit, verräucherte Spelunken, Sträflinge, die im Frühnebel Steine klopfen – seinem Nachnamen fühlte sich Kameramann Otto Heller bei der Arbeit offenbar nicht verpflichtet. Die geradezu mythische Aura, die die amerikanischen Filmgangster gemeinhin auszeichnet, geht ihren britischen Kollegen allerdings ab. Sie sind härter, zynischer und realistischer: „Don't be so reactionary. This is the centery of the common man“, sagt der Boß einer Schwarzmarkt-Gang einmal zu einem seiner Bandenmitglieder, das nach alter Tradition – der Gangster als Snob – lieber ohne Schußwaffe arbeiten will.

Eine Szene, in der der Gangleader seine ehemalige Freundin mißhandelt, sucht in ihrer Brutalität ihresgleichen: Immer wieder drischt und tritt der Mann auf sein wehrloses Opfer ein; ein Spiegel verzerrt sein Gesicht derweil zu einer scheußlichen Fratze. In diese Welt gerät der aus der Air Force ins zivile Leben entlassene Clem Morgan (Trevor Howard). Seine Vorstellung, man könne den Schwarzmarkthandel mit einem gewissen Abstand betreiben, wird natürlich sofort ad absurdum geführt. Die Gangster entledigen sich des „Amateurs“, indem sie ihm einen Mord anhängen, den er nicht begangen hat.

Zum Finale erreicht der Zynismus des Films seinen Höhepunkt: In dem Beerdigungsinstitut, das ihnen zur Tarnung dient, verstecken sich die Schurken in den Särgen, um auf den aus dem Gefängnis geflohenen Morgan zu warten. Überall hängen Schilder mit wunderbaren Sinnsprüchen wie „It's later than you think“ oder „Death is always around the corner“ an der Wand; der Gangsterboß pfeift derweil zum Zeitvertreib „Stille Nacht“. Am Ende wird noch nicht einmal der Gerechtigkeit Genüge getan: Zwar stürzt der Boß vom Dach in den Tod (direkt neben den riesigen Lettern einer Leuchtreklame für das Beerdigungsinstitut: „R.I.P.“), doch selbst sterbend zeigt er keine Reue und belastet Clem Morgan erneut.

31.5. im Zeughauskino

Bevor sich Sir Richard Attenborough hinter die Kamera begab, um in seinen Filmen (etwa in „Gandhi“) für ein bißchen Frieden, Freude und Eierkuchen zu werben, gehörte er zu den vorzüglichsten Darstellern psychopathischer Mörder in England. Sein Gangsterboß Pinky Brown in John Boultings „Brighton Rock“ steht dem Gangleader aus „They Made Me a Fugitive“ in Sachen Zynismus nicht nach: Um eine Frau, deren Aussage ihn möglicherweise belasten könnte, besser unter Kontrolle zu haben, heiratet er sie kurzerhand. „Brighton Rock“ entstand zeitgleich mit Cavalcantis Film, kommt jedoch ganz ohne „noir“- Fotografie aus: Gerade an den beliebtesten Orten – auf dem Rummelplatz oder an der Seepromenade – hat die junge Frau am meisten Grund, um ihr Leben zu fürchten.

30.5. im Zeughauskino

Lars Penning

„They Made Me a Fugitive“ (OF),

„Brighton Rock“ (OF),