Beste aller Fußballwelten

Mit viel Protzerei soll die Fußball-WM 2006 den undankbaren Engländern weggeschnappt werden  ■ Aus München Matti Lieske

„Don't mention the Brits“ schien lange Zeit die Devise zu sein bei der offiziellen Präsentation der deutschen WM-Bewerbung für das Jahr 2006 am Dienstag im Münchner Prinzregententheater. Schlau hatte der DFB die Anwesenheit von 700 Journalisten anläßlich des Champions-League-Finales genutzt, um sein Anliegen der Welt vorzutragen. Aufgefahren war die geballte Prominenz des deutschen Fußballs von den Ehrenspielführern bis zu den Spitzenfunktionären, von den Münchner Nationalspielern bis zum vollständigen DFB-Trainerstab. Souverän und selbstbewußt wollte man argumentativ und suggestiv davon überzeugen, daß die beste aller Fußballwelten in neun Jahren nur Deutschland sein kann und auf keinen Fall diese aufmüpfige, undankbare Inselnation mit dem unaussprechlichen Namen, die auch in der Bewerbungsbroschüre nur äußerst indirekt erwähnt wird.

Aber dann platzte Conferencier Waldemar Hartmann gegenüber Franz Beckenbauer mit der raffinierten Frage heraus, ob denn „ganz Europa“ hinter der deutschen Kandidatur stehe, und schon fiel die Maske. „Die Engländer sind uns in den Rücken gefallen“, schimpfte der Kitzbüheler Oberbewerber, zählte auf, was der DFB alles für „die Engländer“ getan habe, und wiederholte seinen Vorwurf an „die Engländer“, jegliches Fairplay vermissen zu lassen.

Dann ging ihm auf, daß es vor einem internationalen Publikum vielleicht nicht den besten Eindruck macht, wenn man derart vehement auf einen Konkurrenten einhaut, und beeilte sich anzumerken, daß man von „den Engländern“ ja gar nicht reden könne. Es gehe eigentlich nur um „vier, fünf Funktionäre“, sonst seien sie in Ordnung, „die Engländer“. Offenbar hat er lange mit keinem geredet, sonst wüßte er, daß „die Engländer“ mindestens ebenso hinter ihrer Bewerbung stehen wie die Deutschen, deren Zustimmung eine Emnid-Umfrage mit 77 Prozent veranschlagte, und zudem auf erheblich aktivere Unterstützung ihrer Politiker zählen können.

Vor dem kaiserlichen Briten- Bashing hatte DFB-Präsident Egidius Braun das salbungsvollste seiner vielen salbungsvollen Lächeln aufgesetzt, dem „lieben Lennart“, i.E. Uefa-Präsident Johannson, kräftig Honig ums Maul geschmiert, stolz verkündet, daß „alle Mitglieder der Gewerkschaften nicht die Zahl der Fußballer in Deutschland“ erreichen, und allen Ernstes die Wiedervereinigung als Hauptgrund für die Ausrichtung eines Sportereignisses 16 Jahre danach genannt. Diese Argumentation hatte schon der Berliner Olympiabewerbung wenig geholfen, aber dem DFB kann man sie kaum verdenken. Schließlich hat der Mauerfall den unbestreitbaren Vorteil, daß man 2006 nicht mehr im eigenen Land gegen die DDR verlieren könnte.

England erwähnte der Aachener Kartoffelhändler – „Don't mention the Brits“ – mit keinem Wort, dafür widmete er sich den potentiellen Gegnern aus ferneren Gefilden, Südafrika etwa. Überlegungen, wie sie „hier und da“ – also überall außerhalb Europas – angestellt würden, die WM künftig nacheinander an die fünf Kontinentalverbände zu vergeben, erteilte Braun eine entschlossene Absage, weil die Uefa dann ja nur alle 24 Jahre dran wäre. Wie bisher sollte das Turnier alle acht Jahre in Europa stattfinden, denn dies entspräche der herausragenden Stellung des europäischen Fußballs. Entgangen ist dem DFB- Oberen offenbar gänzlich, daß inzwischen auch anderswo ordentlich Fußball gespielt wird und spätestens seit der WM-Vergabe an die USA und Japan/Südkorea die Zeiten des Wechselspiels zwischen Europa und Südamerika endgültig vorbei sind.

Präsentiert wurde in München auch der phantasielose Werbefilm für die Kandidatur, der erst mal einige Minuten lang mit den fußballerischen Triumphen der Deutschen protzt, was möglicherweise nicht überall den gewünschten Beifall findet. Dann treten die üblichen Verdächtigen wie Walter und Seeler, Becker und Graf, Schumi und Kohl auf, die sagen dürfen, wie traumhaft diese WM wäre, es folgt ein konventioneller landschaftlicher Querschnitt mit Lorelei, Schwarzwaldbommeln und Brandenburger Tor. Als Aushängeschild wird schließlich auch die Bundesliga ins Feld geführt, wobei sich der Verband, der wie kaum ein anderer gegen Bosman kämpfte, nicht entblödet, ausgerechnet mit den ausländischen Stars in deutschen Vereinen zu prahlen.

Vorgestellt wurden auch die Stadien und 22 Städte, die sich für die Austragung von Spielen beworben haben: Hamburg, Bremen, Berlin, Gelsenkirchen, Essen, Mönchengladbach, Dortmund, Bochum, Düsseldorf, Köln, Frankfurt/Main, Kaiserslautern, Karlsruhe, Stuttgart, München, Nürnberg, Leverkusen, Magdeburg, Leipzig, Münster, Hannover und Dresden. Die wenigsten dieser Städte verfügen über weltmeisterschaftstaugliche Stadien, und so wird genau das eintreten, weshalb die stehplatzverbundenen Fanprojekte gegen die WM opponieren. Um überhaupt eine Chance zu haben, im Falle eines Zuschlags durch das Exekutivkomitee der Fifa im Jahre 2000 zu den auserwählten Städten zu gehören, müssen sie schon jetzt anfangen, ihre Stadien um- bzw. neuzubauen und in komfortable Sitzplatzarenen mit VIP-Bereich zu verwandeln.

Einer, der dies in München versprach, war der Unglücksrabe der verkorksten Olympiabewerbung Berlins, Bürgermeister Eberhard Diepgen. Bis 2006 werde das Olympiastadion saniert sein, sagte er zu, eine kühne Behauptung angesichts der Finanzsituation. Aber selbst wenn sich Berlin verspätet, könnte das immer noch reichen, wenn man das Logo der WM-Bewerbung zum Maßstab nimmt. Dies ist eindeutig dem Hale-Bopp- Kometen nachempfunden. Und der kommt bekanntlich erst in ein paar tausend Jahren wieder.