Christus kam nur bis Soweto

Das Evangelium nach Mbongeni Ngema, dem ersten schwarzen Playhouse-Direktor Südafrikas: „Maria – Maria“, ein Musical über den Apartheidgegner Steve Biko als Bruder Jesu, geht ab heute auf Deutschlandtour  ■ Von Ralf Sotscheck

Nunu ist geduldig. Nur manchmal verdreht sie verzweifelt die Augen. Seit anderthalb Stunden läßt der südafrikanische Komponist Mbongeni Ngema sie immer wieder eine Strophe aus einem neuen Lied wiederholen, das er am Vormittag komponiert hat. Dann hat sie endlich die Interpretation getroffen, die Ngema die ganze Zeit vorgeschwebt hat. Der Übungsraum ist unter dem Dach im sechsten Stock des „Playhouse“. Das Theater liegt im Zentrum von Durban in der südafrikanischen Provinz Kwa Zulu-Natal. Mbongeni Ngema, ein kleiner Mann mit rundem Gesicht, studiert sein neues Musical ein: „Maria – Maria“. Thema: ein Vergleich zwischen Steve Biko, dem schwarzen Studentenführer, und Jesus Christus. „Es ist Gospelmusik“, sagt Ngema, „denn ich bin damit aufgewachsen.“ Mbongeni Ngema ist der erste schwarze Direktor des Playhouse, einer ehemaligen Domäne der Weißen. Ursprünglich war das Playhouse 1935 als Kino für 1.900 Zuschauer gebaut worden. Anfang der siebziger Jahre kam die Bar im Erdgeschoß zu zweifelhaftem Ruhm: Sie war zum Anziehungspunkt für Matrosen auf der Durchreise geworden, und es kam immer wieder zu Alkoholexzessen und Schlägereien. Nach einem Feuer machte das Kino schließlich dicht. Vor 30 Jahren wurde es als Kulturzentrum mit fünf Theaterbühnen wiederaufgebaut.

„Das Stück spielt im neuen Südafrika“, sagt Ngema. „Eine Menge Schwarze sind ohne Arbeit. Viele sind als Freiheitskämpfer ausgebildet, sie wissen, wie man mit einer Waffe umgeht. Das einfachste ist es für sie, eine Bank zu überfallen.“ Maria ist Christin, sie überredet die Leute, in die Kirche zu kommen. Die Musik, die aus dem Gotteshaus dringt, lockt viele an. „Eines Tages soll sie die Predigt halten“, sagt Ngema. „Aber sie redet nicht nur über Christus, sondern zieht eine Parallele zu Biko: Beide lebten für die Gemeinschaft. Nachdem Jesus in Jerusalem Einzug gehalten hatte, war seine Lehre nicht mehr aufzuhalten. Dasselbe gilt für Biko nach seinem Einzug in Soweto 1976: Black Consciousness war danach auf dem Vormarsch. Am Ende wurde Jesus genauso wie Biko verraten, beide wurden von einem Riesenaufgebot festgenommen, beide wurden danach mißhandelt.“

Ngema sagt, sein Musical soll die eigene Geschichte ins Bewußtsein rufen, Maria führt den Jugendlichen mit Biko ein Vorbild vor Augen. Es ist Ngemas erstes reines Gospelmusical. International bekanntgeworden ist er 1987 mit seinem Musical „Sarafina“, mit dem er dem „Mbaqanga“, der Musik aus den Townships, ein Denkmal gesetzt hat. Mbaqanga bedeutet in der Zulu- Sprache eigentlich „die Suppe des armen Mannes“. Der Ursprung dieser Musik liegt im Pennywhistle Jive. Die Hirtenjungen in den Townships spielten auf einfachen Rohrflöten mit nur drei Löchern, doch in den Städten, in die sie auf der Suche nach Arbeit kamen, gab es billige, aus Deutschland importierte Blechflöten mit sechs Löchern. Die Township Boys entwickelten sehr schnell ihren eigenen Stil. Wenn sie keine Arbeit hatten, spielten sie in den weißen Vierteln an Straßenecken, immer auf der Hut vor der Polizei. Bald hatten die Pennywhistle-Spieler unter weißen Jugendlichen eine beträchtliche Anhängerschaft. Die Weißen gaben der Musik einen neuen Namen: „Kwela“, was etwa „hinaufklettern“ bedeutet. „Kwela“, so riefen die Polizisten, wenn sie einen schwarzen Musikanten verhaftet hatten und er in den Polizeitransporter hinaufklettern mußte.

Mbongeni Ngema sei streng bei den Proben, sagt Nunu, aber es ist eine große Ehre, bei seinem Musical dabeisein zu können. Sie spielt in „Maria – Maria“ die Küsterin, die für die Musik in der Kirche verantwortlich ist und von Maria als ältere Schwester betrachtet wird.

Die Zeit der Proben ist heute vorbei, das Musical erlebt in Wiesbaden seine Weltpremiere. Der Text ist in englisch mit ein paar Einsprengseln in der Zulu-Sprache. Aber auch wenn man nicht alles versteht – nach den Proben zu urteilen, sind die Musik, der Tanz und die Kostüme einen Besuch des Musicals allemal wert.

Tourneedaten: 29.–31.5. Wiesbaden, 2.–8.6. Recklinghausen, 13.–15.6. Ludwigshafen, 20.–22.6. Krems/Österreich