Auslandsinvestitionen in Ländern mit niedrigeren Löhnen müssen noch lange kein Votum gegen den Standort Deutschland sein. Volker Müller, Vorstand von Siemens Portugal, erklärt die Gründe des deutschen Konzerns, in Portugal zu investieren

taz: Rund 450 deutsche Unternehmen haben sich in Portugal niedergelassen. Ist das eine Fluchtbewegung aus dem Hochkostenland Deutschland?

Volker Müller: Das kann man so nicht sagen. Die meisten Firmen sind in den 60er Jahren nach Portugal gekommen. Wir haben damals verstärkt hier investiert, weil wir der Meinung waren, wir müssen mit der Arbeit zu den Menschen gehen. Bis dahin war es ja so gewesen, daß man die Menschen nach Deutschland zur Arbeit geholt hat. Seither haben sich viele deutsche Unternehmen in Richtung internationale Produktion entwickelt.

Wieviel produziert Siemens für den Weltmarkt?

Grob gesagt haben wir heute 40 Prozent unserer Produktion im Ausland, 60 Prozent in Deutschland. Beim Umsatz ist es genau umgekehrt. Daher sagt ja unser Vorstandsvorsitzender Heinrich von Pierer, wir müssen mit der Wertschöpfung dahin gehen, wo wir das Geschäft machen.

Siemens hat gerade erst den Grundstein für ein Halbleiterwerk in Portugal gelegt. Sie produzieren Chips im englischen Newcastle, außerdem in Malaysia und Singapur – ein Votum gegen den Standort Deutschland?

Das sehe ich nicht so. Wir müssen heute unseren Heimatmarkt nicht als Deutschland, sondern als Europa definieren. Die portugiesischen Fabriken sind die Back-end- Fertigung für unsere Fertigung in Dresden und künftig auch für das Werk in Newcastle.

Sie wollen sagen, Sie schützen deutsche Arbeitsplätze durch solche Investitionen eher, als daß Sie sie vernichten?

Ja genau, die Arbeitsplätze in Portugal tragen mit dazu bei, daß Arbeitsplätze in Deutschland überhaupt erhalten werden können. Wir müssen die Fertigung vernetzen, das Beste aus jedem Standort machen, und nur dann sind wir international konkurrenzfähig.

Und dennoch – in Berlin beschäftigt Siemens nur mehr 650 Menschen in der Relaisfertigung, gut halb so viele wie im Relaiswerk im portugiesischen Évora.

Ein Beispiel: Wir haben die Erfahrung machen müssen, daß wir von in Berlin hergestellten Vakuumschaltern null Stück in Portugal verkaufen konnten. Denn die Endpreise lagen deutlich über denen eines Konkurrenten. Indem wir die Fertigung von Mittelspannungsschaltanlagen im letzten Jahr hierher verlegt haben, haben wir einen Kostenvorteil erreicht, der es uns ermöglicht, jetzt 150 bis 200 Stück kompletter Schaltanlagen im Jahr zu verkaufen. Die darin eingebauten Schalter beziehen wir aus Berlin. Die 70 Arbeitsplätze für die Schaltanlagenfertigung in Portugal erhalten also tatsächlich Arbeitsplätze in Berlin.

Siemens beschäftigt heute über 5.000 Leute in Portugal. Warum hier und nicht etwa in Osteuropa, wo die Lohnkosten nur etwa halb so hoch sind?

Lohnkosten sind nur ein Teil der Motive für eine Investition. Politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität spielen eine große Rolle. Da müssen wir vor allem in Osteuropa lernen, daß es dort Probleme gibt. Portugal ist dagegen Teil der EU, hier herrschen europäische Verhältnisse. Hier finden wir exzellente, hoch motivierte Mitarbeiter, die Produktivität ist vergleichbar mit der in Deutschland.

Laut offiziellen portugiesischen Informationsbroschüren für Investoren beträgt die Produktivität aber nur 30 bis 40 Prozent des deutschen Wertes.

Das stimmt vielleicht für die portugiesische Volkswirtschaft insgesamt. Es stimmt aber nicht für moderne Unternehmen.

Die portugiesische Regierung trägt durchschnittlich ein Drittel der Investitionskosten ausländischer Unternehmen. Welche Bedeutung haben diese Beihilfen?

Ich kann diese Zahl nicht bestätigen. Aber Subventionen sind auch wichtig für die Ansiedlung, um die Nachteile der Randlage dieses Standorts auszugleichen.

Sie sprechen die großen Entfernungen an. Ist das nicht ein Nachteil der Globalisierung?

Wir haben inzwischen Logistikverfahren geschaffen, durch die der Endkunde diesen Nachteil nicht spürt. Auch aus Portugal heraus schaffen wir die Just-in-time- Lieferung etwa für die Automobilindustrie in Frankreich, und das sogar in Verbund mit Werken in Litauen.

Wie steht es mit anderen praktischen Schwierigkeiten, etwa dem Sprachproblem?

Bei Siemens Portugal gibt es drei offizielle Sprachen: Portugiesisch, Englisch und Deutsch.

Und die müssen alle Mitarbeiter können?

Die Führungsmitarbeiter ja. Die Globalisierung führt außerdem dazu, daß in den Halbleiterwerken die Umgangssprache schon fast Englisch ist. Viele Mitarbeiter können auch Deutsch, die Portugiesen sind sehr sprachbegabt.

Portugal wird wahrscheinlich den Sprung in die europäische Währungsunion schaffen. Befürchten Sie, daß sich dann die Löhne hier schnell dem europäischen Durchschnitt angleichen?

Nein, jedenfalls nicht in den nächsten – sagen wir – 20 Jahren. Wenn man hier sagt, wir erhöhen die Löhne auf den europäischen Standard über den Zuwachs der Produktivät hinaus, dann macht man hier die ganzen Arbeitsplätze einfach kaputt. Das wissen auch die Regierung und die Gewerkschaften.

Wieviel verdient ein einfacher Arbeiter bei Ihnen in der Stunde?

Im Schnitt sieben Mark.

Was kostet Sie das als Arbeitgeber?

Mit den Lohnnebenkosten liegen wir bei 13 bis 14 Mark; damit zahlen wir überdurchschnittlich im portugiesischen Vergleich.

Und wenn Sie das mit Deutschland vergleichen?

45 Mark in Westdeutschland.

Die deutschen Arbeitgeber fordern gern und oft, man müsse nur endlich die Lohnkosten senken, um den Abbau von Arbeitsplätzen und das Abwandern von Unternehmen zu verhindern.

Man muß das in Relation setzen: Siemens investiert in Portugal 600 Millionen Mark in ein neues Halbleiterwerk – da spielen Lohnkosten im Preis des Endprodukts eine untergeordnete Rolle. Aber trotzdem sind die Löhne natürlich wichtig. Wir stehen ja im Wettbewerb mit Südkorea, mit Südostasien schlechthin, und da zählt jeder Pfennig.

Siemens ersetzt auch in Portugal Arbeitskräfte durch Maschinen. Der Automatisierungsgrad ist schon jetzt beeindruckend. Wie billig muß Arbeitskraft eigentlich sein, damit sie nicht wegrationalisiert wird?

Das ist die falsche Frage. Nur mit der Automatisierung können wir Arbeitsplätze erhalten. Wir gehen dabei weg von unqualifizierten Arbeitsplätzen hin zu qualifizierten. Das müssen wir tun, denn die etwa von unseren Abnehmern in der Automobilindustrie vorausgesetzten Qualitätsstandards sind so hoch, daß kein Hersteller mehr auf Handarbeit setzen kann. Wir erhöhen damit aber auch die Qualität der Arbeit für die Mitarbeiter.

Das wird die ungelernte Arbeiterin, die durch einen Ingenieur ersetzt wird, wenig trösten.

Wir setzen da auf die natürliche Fluktuation. Aber an dem Trend können wir nichts ändern, denn dazu zwingt uns die weltweite Konkurrenz. Wer heute auf Automatisierung verzichtet, gefährdet langfristig das ganze Unternehmen und damit alle Arbeitsplätze. Interview: Nicola Liebert