Jenseits des Internets

■ In Berlin geht heute die "Internet World" zu Ende - eine Messe und ein Kongreß, die seit 1993 um die reale Welt reisen

Konferenzen und Kongresse über das Internet leiden oft an einem inneren Widerspruch. Sie beschäftigen sich mit den Chancen weltweiter Kommunikation und versammeln zu diesem Zweck Dutzende von Referenten zum Vortragsmarathon vor einem fachkundigen Publikum, das, auf engem Raum zusammengepfercht und rasch ermüdend, wenig Neues erfährt. Denn wer sich dafür interessiert, hat sich bereits informiert im Internet selbst, das sich ohnehin immerzu selbst zum Thema macht und machen muß, weil es noch jung ist und daher schwer an seinem Bildungsroman zu arbeiten hat. Auch kleine Fortschritte und Affären, die im nachhinein belächelt werden, sind deshalb schon längst virtuelle Großereignisse, bevor sie in Vortragsmanuskripten Eingang gefunden haben, und bereits wieder halb vergessen, wenn der Vortragende sein jeweiliges Reiseziel erreicht hat. Ein Jahr in der realen Welt entspricht ungefähr zehn Jahren im Kalender des Netzes, so wird unter Fachleuten nicht gewitzelt, sondern durchaus realistisch gerechnet.

Wozu also findet eine Konferenz statt, die von vornherein ihren Gegenstand verfehlen, zumindest das Niveau unterbieten mußte, auf dem er im Internet behandelt wird? Sie bedarf einer Rechtfertigung. Die „Internet World“, Computermesse und Fachkongreß in einem, die heute nach drei Tagen in den Berliner Messehallen zu Ende geht, verweist mangels anderer Argumente einfach auf ihre Geschichte. (www.internetworld .de/) Sie wird seit 1993 jährlich an wechselnden Schauplätzen ausgerichtet, mal ist es New York, mal Japan, diesmal nun Berlin, was den Vertreter des Organisators, des Verlages Mecklemedia pflichtgemäß ganz besonders freut. Als ob es eine Leistung wäre, der notorisch in Finanznot steckenden Berliner Messe diese Veranstaltung anzudienen.

Die passenden Stichworte, den Wirtschaftsstandort Deutschland betreffend, waren damit genannt, die Diskussion in den Expertenrunden konnte beginnen, am Anfang jedoch stand gleich die nächste Entschuldigung: Jim Clark, Mitgründer von Netscape, der nahezu einzigen Firma, die bisher tatsächlich Geld am und im Internet verdient, habe nicht nach Berlin reisen können. Noch nicht einmal von einer ausdrücklichen Absage war die Rede, und der Eröffnungsreferent Steve Kirsch, Gründer der Suchmaschine Infoseek, konnte den Verdacht erst recht nicht ausräumen, daß Clarks Name nur als Lockvogel auf dem Programm stand. Immerhin ist der Mann, der Bill Gates das Fürchten lehrte, selbst im Internet nicht ohne weiteres persönlich anzutreffen. Aber auch in Berlin ließ er sich nur durch sein allgegenwärtiges Programm mit den abstürzenden Kometen hinter dem weltumspannenden „N“ vertreten.

Der Browserkrieg zwischen Netscape und Microsoft scheint der Entscheidungsschlacht entgegenzutreiben, sehr viel Geld steht auf dem Spiel, in Berlin war jedoch nur an Rande die Rede davon. Microsoft hatte einen jungen Angestellten aus Unterschleißheim an die Front geschickt, der kaum eine der vielen Publikumsfragen nach dem zweifelhaften Nutzen und den sicheren Risiken des bereits angekündigten Microsoft-Superbrowsers beantworten konnte. Auch Steve Kirsch hatte sich am frühen Morgen auf einige Ratschläge der schlichten, amerikanischen Art beschrännkt. Wer Geld im Internet verdienen wolle, sollte Kosten sparen, war da zu lernen, den Webserver von Microsoft benutzen, auch sonst keine falschen Programme kaufen – und auf Java besser verzichten.

„Java“ also. Immerhin war das magische Wort gefallen, das stolz auf eine virtuelle Vergangenheit zurückblicken kann, die im Netzkalender zwanzig Jahre zählt – Programmsprache und Konzept sind 1995 eingeführt worden. Sie scheinen ihre Anhänger bis heute nachhaltig zu inspirieren. Für die deutsche Niederlassung der Firma Sun Microsystems, in deren Labors Java erfunden wurde, trug überaus eloquent Gary Calcott vor, was ein Internet wäre, in dem weder Netscape noch Microsoft, sondern Sun die Regeln vorgäbe.

In Netzzeiten grechnet, sind wir davon ein paar Jahrhunderte entfernt, doch unter den anderen pragmatisch beschränkten Schwerpunkten des Berliner Kongresses war die radikale technische Spekulation reizvoll. Denn die Tagesfragen des wirtschaftlichen Nutzens oder des rechtlichen Rahmens, mit denen sich zwei andere Arbeitsgruppen beschäftigten, sind viel zu eng gestellt, weil das Internet, in dem sie jetzt gelöst werden müssen, selbst nur ein winziger Ausschnitt des digitalen Universums ist, das am Horizont von Java erkennbar wird.

Calcott legte großen Wert darauf, die Programmsprache von ihren Anwendungen zu unterscheiden. Nur der Javacode werde zur Zeit endgültig definiert, „in Beton gegossen“. Den Anwendungen dagegen sind kaum Grenzen gesetzt. Chip ist Chip, was binäre Zahlen verarbeiten kann, wird einmal auch Java-Programme ausführen, hofft Calcott und nennt als Beispiele Kreditkarten, Geschirrspülmaschinen, Telefone und Industrieroboter. Das Prinzip heißt „Skalierung“, der heutige Personalcomputer ist nur ein Sonderfall in diesem allgemeinen Kontinuum beliebiger vernetzter Maschinen, und für Calcott steht fest, daß er eigentlich schon der Vergangenheit angehört.

Im Saal jedoch saßen mehrheitlich EDV-Angestellte Berliner Firmen und Webdesigner, die auf der Internet World nicht unbedingt einen Ausflug in eine technische Utopie jenseits des Internets, wenn nicht sogar jenseits der Vorstellungskraft unternehmen wollten. Sie holten den Missionar auf den Boden ihrer Probleme und Fragen zurück. Calcott räumte ein, daß zentrale Probleme noch ungelöst seien, kam ins Stottern, und der Kongreß war wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt, dem Internet, das technisch von Microsoft und Netscape beherrscht wird. Was nun?

Standardthemen wurden hin und her gewälzt. Die Sicherheit muß verbessert werden, neue technische Regeln sollen auf der untersten Ebene der Datenübertragung, dem sogenannten Internetprotokoll, dafür sorgen. Wann sie eingeführt werden, ist ungewiß. Sicher ist nur, daß sich der Zugang zum Internet auch unabhängig von solchen Verbesserungen sehr bald grundsätzlich verändern wird. Die Unternehmen, die langfristig Geld in ihre großen Websites investieren wollen, sind nicht bereit, auf zufällige Besucher aus dem Netz zu warten. Sie wollen ihre Botschaften senden; auch Interent muß ein „Push-Medium“ werden, wie das Schlagwort heißt. Kein Refernt, der zu diesem Thema sprach, vergaß zu sagen, daß der „Nutzer“ danach verlange, weil er sonst in der Informationsflut untergehe.

Niemand hat ihn freilich gefragt, den Nutzer. Der erstaunliche, teils auch wirtschaftliche Erfolg von Suchmaschinen beweist eher, daß er sich, falls es ihn in dieser angenommenen Durchschnittlichkeit gibt, durchaus zu helfen weiß. Doch die Frage ist längst entschieden. In seltener Einhelligkeit kündigen Microsoft wie Netscape an, daß ihre neuen Browser für den Empfang der neuen Internet-Sendekanäle eingerichtet sein werden. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de