Ein ergiebiger Ekel

■ Jockel Tschiersch auf Kampnagel

Man nimmt es ihm nicht ab, daß er diesen Anzug mit seinem Therapeuten gekauft haben soll. Schon gar nicht die C&A Joung Collection. Vielleicht ist er auch einfach nicht feist und nicht platt genug. Jockel Tschiersch, der am Dienstag abend im Rahmen des 11. Kabarettfestivals auf Kampnagel auftrat, ist jedenfalls kein Unterhalter der spontanen Breitenwirkung, kein Mann für die Feixer und Schenkelklopfer.

Der Schauspieler als Kabarettist, jemand der sprechen und spielen kann und der deshalb etwas anderes bietet als zünftige Pointen oder Welterklärungsmuster im Großformat. Was sein Programm Null Drama oder: Die Mindener Pest stattessen vorstellt, ist eine assoziative und gleich in mehreren Dialekten vorgetragene Reise durch großräumigste Spießer- und Zynikerlandschaften. Erlebt und gesehen in der Regie eines „Notprogramms“: von den Nöten seiner in Scheidung dahinlavierenden Ehe, von der Not der lieben Verwandtschaft – die Not des Kabarettisten, die eigene kleine Verkorkstheit ist zugleich sein Metier. Mit dieser selbstironischen Wendung setzt sich der Mann vom Bodensee zügig gegen sämtliche kabarettistische Großmannssüchteleien ab. „Ich bin Thomas Freitag, und ich bin Kabarettist“, süffisant und mit sichtlichem Vergnügen an der Antipathie hält Tschiersch mit breitester Kohl-Stimme nicht nur einen Kollegen zum besten. Überhaupt ist das Lästern seine große Stärke. Komödiantisch und mit Lust an der Persiflage zieht er her – zuweilen herrlich derb und versaut – über die Lifestyle-Logik eines Edelitalieners am Savigny-Platz in Berlin-Charlottenburg, über Katte, den „letzten namentlich Linken“, jetzt Rechtsanwalt in Neu-Köln und Besitzer eines „kleinen Reiterhöfchens in Nackel bei Küritz“, über 15 Meter Poggenpohl-Küche mit Designerstühlchen und „die Ostschalter hat er drangelassen“. Die Liste ist lang und ergiebig der kleine Ekel.

Trotz mancher Überdehnung, dieser Zug durch die Gemeinde ist ziemlich lohnenswert, auch ohne Sieh-da und Fingerzeig mit Überblick.

Denn wenn man, wie die ungefähr15 anderen Zuschauer, ein bißchen Geduld mitbringt, dann stellt es sich ganz plötzlich und unvermittelt ein: ein Kabarett von der wirklich filigranen und verblüffend luziden Sorte. Elisabeth Wagner

Heute, 20.30 Uhr, Kampnagel