Hintergrundrauschen der Netzkultur

■ Datenräume oder Cyberkommerz: Auf dem Transmedia Festival werden Öffentlichkeitsmodelle des Internet diskutiert

Wenn es noch einen Jet Set gibt, dann fühlt er sich auf internationalen Medienfestivals am wohlsten. Das Transmedia Festival im Podewil hat zur zweitägigen Debatte zum Stand der Dinge in Sachen Internet geladen, heute wird ein Troß aus Internetaktivisten, Medientheoretikern und Künstlern in Berlin eintreffen. Die internationale Stadt Berlin, die seit Jahren unspektakulär, aber stetig an der Basis der Netzkultur arbeitet, hat dafür gesorgt, daß der entsprechende Programmteil „Datenraum“ entlang der wirklich interessanten Fragen konzipiert wurde: „Datenraum I“ fragt, wie auf die zunehmende Kommerzialisierung und Reglementierung der Netze reagiert werden kann.

Unabhängige Verleger, Initiativen und Künstler haben das Netz mit Inhalten gefüllt, die in der Logik kommerzieller Anbieter lediglich ein willkommenes Hintergrundrauschen an Kultur darstellt. Der Kampf zwischen kulturellen und kommerziellen Strategien um die digitalen Territorien ist in vollem Gang und eher selten Gegenstand öffentlicher Debatten. Auf dem Podium wird auch Wolfgang Staehle sitzen, der von New York aus das Mailboxsystem The Thing ins Leben gerufen hat: eines der ersten Projekte, die die neuen Technologien als Forum künstlerischen Austauschs nutzten.

„Datenraum II“ verhandelt verwandte Fragen. Der New Yorker Timothy Druckrey etwa versteht das Netz als Marketingmaschine eines aggressiven Imperialismus der amerikanischen Computerindustrie, während der holländische Medienaktivist Geert Lovink das Netz nach seinen Möglichkeiten als taktisches Medium u. a. gegen die amerikanischen Modelle von Organisation und Kommunikation befragt, die vor allem die postsozialistischen Gesellschaften Osteuropas bestimmen. Fragen zur Autonomie in den Netzen wird sich die Theorieperformance „Flesh Frontiers“ mit dem Critical Art Ensemble und Hakim Bey bereits heute abend widmen.

Nicht erst anreisen müssen diverse CD-ROMs und Internetprojekte, die noch bis Sonntag im Foyer des Podewil zu sehen sein werden. Das „User Unfriendly Interface“ aus dem Umfeld der australischen Cyberfeministinnen VNS Matrix spielt auf komplexe Weise mit den verschiedensten Ebenen unseres Medienkonsums – von der Art und Weise wie mediale Interaktion durch Machtverhältnisse vorherbestimmt und eingeschränkt wird, bis hin zu paranoiden Verschwörungstheorien, die eine mediatisierte Welt anscheinend zwangsläufig generiert. Mit einigem Humor werden Geschlechterkonstruktionen auf den Kopf gestellt, Sex und Medien thematisiert und auch die merkwürdigen Modetrends der eigenen Szene vorgeführt. „Interaktivität“ ist beim Zusammenbasteln des persönlichen Cyber Survival Kits und der passenden Ideologie immer gewährleistet: „Do you always do as you're told? YES or NO?“

„Shock in the Ear“ thematisiert dagegen die Differenzen zwischen medialer und körperlicher Wahrnehmung. Eine collagierte Oberfläche simuliert die in den abrupten Momenten des Schocks gestörte Raumerfahrung, unter ihr verbergen sich Klänge und Überlegungen zum kulturellen Phänomen Schock. Interaktion organisiert „Shock in the Ear“ auf intuitive Weise. Als Beispiel für sinnvolle Anwendungen des Internets im Alltag stellt Transmedia Carolas „H6usfrauenseiten“ vor. Dort finden sich neben den „Müttern mit Modems“ zwischen Soßenrezepten und Blondinenwitzen ein von Hausfrau Carola moderiertes Forum für Fragen von Hausfrauen und -männern: Wer hat Erfahrung mit vorzeitigen Wehen, wie lange dauert die Paarung bei Erdkröten, und wie hindert man eine Hose daran, an den Beinen zu kleben? Ulrich Gutmair

„Flesh Frontiers“: heute, 22.30 Uhr; Datenraum I: Sa 16 Uhr; Datenraum II: So 16 Uhr; CD-ROMs und Internetprojekte im Foyer des Podewil, Klosterstraße 20