Der Film zwischen Freiheit und Selbstzensur

■ Hongkongs Filmindustrie, die drittgrößte der Welt, heimst im Ausland Preise ein. Zu Hause steckt sie in einer Krise. Die Übergabe stellt die Branche vor ein Dilemma

Es bleibt nur noch ein Monat, ehe die Souveränität über Honkong an die Volksrepublik China zurückfällt. Wir werden bald wissen, ob das Konzept von einem Land und zwei Systemen für Hongkong praktikabel sein wird.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß in dieser Phase der Ungewißheit Hongkongs Filme in der ganzen Welt mehr Anerkennung und Beachtung finden als je zuvor. Am Vorabend der Übergabe haben Regisseure und Schauspieler aus Hongkong oft in Hollywood zu tun: John Woo erwartet den Start seines neuen Kassenschlagers mit John Travolta und Nicholas Cage, „Face Off“, während sich Chow Yun-fat aus „The Killer“ bereit macht, Hollywood in „Replacement Killers“ mit seiner coolen Darstellung auf den Leib zu rücken, zusammen mit Mira Sorvino.

Zugleich jedoch hat die Branche in Hongkong schwere Zeiten zu überstehen – die traditionellen Einnahmen aus Südostasien gehen zurück, und auch im eigenen Land bleiben die Erträge mager. Bei einer durchschnittlichen Produktion von 150 Filmen pro Jahr ist Hongkongs Filmindustrie („Cantowood“) die drittgrößte der Welt hinter Hollywood und Indien. Hongkong war immer ein ausschließlich kommerziell orientierter Filmmarkt. Der erste und entscheidende Grund für die Produktion eines Films liegt in seiner Profitabilität. Traditionell gehen die Menschen Hongkongs gern ins Kino, und das Gefühl der Zugehörigkeit zum chinesischen Volk hat eine ständige Nachfrage nach chinesischen Filmen zur Folge, während die chinesische Diaspora in Ländern wie Singapur, Malaysia, Indonesien, Taiwan, Thailand und die chinesischen Gemeinschaften in westlichen Ländern einen guten Absatzmarkt für Filme und Videobänder aus Hongkong bieten.

Der Etat eines Films aus Hongkong wird heute im Durchschnitt zu fünfzig Prozent aus den Exporteinnahmen gedeckt. Um einen so diversifizierten Markt zu bedienen, müssen die schöpferischen Talente nicht nur das lokale Publikum bedienen, sondern auch den Geschmack vieler anderer asiatischer Länder berücksichtigen, wo die Filmfreunde meist unterhaltsame Streifen mit Action und Spannung vorziehen.

Mittlerweile hat sich zwischen dem Geschmack des Publikums in Hongkong und dem des Publikums im Ausland eine deutliche Kluft aufgetan. Während Filme von Wong Kar Wai wie „Chungking Express“ internationale Anerkennung finden, waren die lokalen Einnahmen nur mittelmäßig; lokale Renner aber wie „Young and Dangerous“ konnten im asiatischen Ausland aufgrund der Zensur für Themen wie Jugendkriminalität nicht zufriedenstellend laufen. Dennoch haben Filmstars und Idole nach wie vor ein großes Publikum auf verschiedenen Märkten. Jackie Chan, Stephen Chiau, Ekin Cheng und Loen Lai sind noch immer wichtige Faktoren, nicht nur an der Kinokasse, sondern auch für den Verleih.

Die Filmemacher Hongkongs hatten schon in den achtziger Jahren, zu Beginn der chinesisch-britischen Verhandlungen, das Thema 1997 behandelt. Tsui Hark, Pu-chi Leong, Alfred Cheung und Ann Hui führten Regie in den Filmen „Shanghai Blues“, „Welcome“, „Her Fatal Ways“ und „Boat People“, die sich mit der Übergabe an China direkt oder parodistisch auseinandersetzten. Dennoch ist das Publikum Hongkongs nach wie vor stärker an unterhaltsamen Filmen interessiert, und inzwischen ist den Menschen das Thema des Übergangs ziemlich gleichgültig geworden, wenn es ihnen nicht sogar zum Halse heraushängt.

Was Meinungsfreiheit und Zensur anbelangt, hat die chinesische Regierung bereits deutlich gemacht, daß die Hongkonger Filmbranche ihre Autonomie bewahren wird. Die chinesische Regierung hat gute Gründe, dieses Versprechen zu halten, denn zum Schutz ihres inländischen Filmmarkts und der chinesischen Studios tritt sie nach wie vor sehr protektionistisch auf. Sie ist bereit, im Territorium Hongkongs, der Besonderen Verwaltungsregion, mehr Freiheiten einzuräumen und das zum Vorwand zu nehmen, um diese höchst kommerziellen und unterhaltsamen Filme vom chinesischen Markt fernzuhalten.

Die Hongkonger Filmemacher könnten also nach der Übergabe weitermachen wie bisher, stünden allerdings in Festlandchina vor verschlossenen Türen. Dann könnten sich Investoren und Bosse durchaus als diejenigen erweisen, die Selbstzensur ausüben, um in den Vertrieb auf dem Festland einzudringen und höhere Erträge zu erzielen. Für die Filmemacher in Hongkong liegt darin das wahrscheinlichere Risiko. Peter Tsi

Der Autor arbeitet für den TV-Sender Wharf Cable Hong Kong. Er ist ein ehemaliger Vorsitzender der Motion Pictures Industry Association (MPIA) in Hongkong und war auch Koproduzent zweier Filme von Kirk Wong, „Rock 'n' Roll Cop“ und „Police Confidential“.

Übersetzung aus dem Englischen: M. Büning