Kampf um Platz zwei in Bolivien

Bei den Präsidentschaftswahlen in Bolivien hat am Sonntag der Exdiktator Hugo Banzer beste Chancen, die meisten Stimmen zu bekommen. Gewählt ist er damit noch längst nicht  ■ Aus La Paz Ingo Malcher

Auf der Plaza San Francisco im Zentrum von La Paz riecht es nach verbranntem Fleisch. Unzählige Straßenhändler haben ihre winzigen Buden nebeneinander aufgebaut und grillen Fleischspieße mit Kartoffeln, andere servieren heißen Tee mit Rum gegen die eisige Kälte. An ihnen vorbei schieben sich Menschenmassen zur Musikbühne. Ein Schlagersänger quält sich dort ein Liebeslied nach dem anderen vom Leib. „Die Liebe der Morenas brennt“, singt er seinem frierenden Publikum zu. Auf den blau-gelben Schildmützen seiner Zuschauer steht in großen Lettern: „Jaime Presidente!“ Die Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) feiert zum Wahlkampfabschluß ihren Kandidaten, den 57jährigen Jaime Paz Zamora, wie es im bolivianischen Wahlkampf üblich ist, mit einem großen Fest.

„Um ehrlich zu sein, ich bin wegen des Sängers gekommen“, gesteht Norca Galindo, eine der Zuschauerinnen, und beeilt sich hinzuzufügen, „aber ich wähle Jaime trotzdem.“ Die 43jährige hofft, daß „Jaime etwas Besseres tun wird als der alte Präsident“. Mehr weiß sie auch nicht. Die MIR ist längst zum Neoliberalismus übergetreten. Paz Zamora hat als Präsident Boliviens von 1989 bis 1993 die neoliberalen Reformen seines Vorgängers Victor Paz Estenssoro weitergeführt, der 1985 damit begonnen hatte, das Land auf stramm wirtschaftsliberalen Kurs zu trimmen.

Aber um Politik ging es im diesjährigen Wahlkampf auch nicht. Alle aussichtsreichen Parteien bewegen sich mit ihrem Programm in dem Rahmen, den die Regierung von Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada vorgegeben hat: Privatisierung, wirtschaftliches Anpassungsprogramm und mehr Mitbestimmungsrechte. „Das liegt auch daran, daß die begonnenen Reformen nicht rückgängig zu machen sind, man kann die privatisierten Banken nicht einfach wieder verstaatlichen“, sagt der bolivianische Politikwissenschaftler René Antonio Mayorga.

Bei den drei Wahlen seit 1985 konnten die großen Parteien stets etwa 65 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Selbst die Kandidaten tun sich schwer, sich inhaltlich abzugrenzen. „Die Differenzen der Parteien werden immer kleiner, wichtig ist nicht so sehr das Programm, sondern vielmehr die Führungsrolle, die eine Partei anbietet“, so Antonio Mayorga.

Die Regierungspartei Bewegung der Nationalen Revolution (MNR) hat mit dem Innenminister Juan Carlos Duran einen Garanten zur Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik zum Kandidaten erkoren. „Mein Programm ist anders, es bietet konkrete Lösungen an, wie beispielsweise Beschäftigung und einfache Kreditvergabe“, versucht der unfotogene Duran sich ein Profil aufzubauen.

Die beiden kleineren Parteien Bürgerunion Solidarität (UCS) und Gewissen des Vaterlandes (Condepa) könnten zum Zünglein an der Waage werden. Mit Ivo Culjis (44) hat sich ein Unternehmer an die Spitze der UCS gesetzt, der den etablierten Parteien vorwirft, ihre Chefs hätten noch nie richtig gearbeitet. Die Kandidatin der populistischen Condepa, die 47jährige Remedios Loza, wettert heftig gegen den Neoliberalismus – hat aber ansonsten kein Programm. Remedios Loza ist als Talkshow- Gast in Bolivien bekannt geworden. Sie war die erste Aymara- Frau, die in den Kongreß gewählt wurde.

In den Umfragen die Nase vorn hat jedoch der 71jährige Exdiktator Hugo Banzer mit seiner Demokratisch-Nationalistischen Aktion (ADN). Er will den Wirtschaftsliberalismus etwas sozialer machen. Banzers Vorteil gegenüber seinen Gegnern ist, daß er nicht im Ruf steht, am Ausverkauf des Landes beteiligt zu sein. Banzer-Aufkleber prangen an den Ständen der Straßenhändler ebenso wie auf neuen BMWs. Unter der Diktatur von Banzer wurde die Opposition ausgeschaltet und Regimegegner ermordet. Von all dem will Banzer heute nichts mehr wissen, er gibt sich als geläuterter Demokrat. „Der demokratische Zyklus in Bolivien begann mit dem Ende der Diktatur 1982 – und wird mit einem gewählten Präsidenten Banzer enden“, meint der Soziologieprofessor und Parlamentskandidat der Vereinigten Linken (IU), Raúl Prada.

Aber selbst wenn Banzer am Sonntag die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt, so ist es alles andere als sicher, daß er auch Präsident wird. Denn wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit bekommt, wählt das Parlament den Präsidenten. Dann wird verhandelt und gemauschelt. Daher geht es bei den diesjährigen Wahlen eher um Platz zwei oder drei. Bereits 1985 hatte Banzer die meisten Stimmen bekommen – und wurde dann doch nicht vom Kongreß gewählt.