SEK-Mann vor Gericht

■ Polizist muß sich wegen Todesschuß verantworten. Opfer: Ein junger Kurde

Hannover (taz) – Beinahe drei Jahre nach dem tödlichen Schuß eines Beamten vom Sondereinsatz-Kommando (SEK) auf den 16jährigen Kurden Halim Dener hat gestern vor dem Landgericht Hannover erneut die Hauptverhandlung gegen den 30jährigen Polizeiobermeister Klaus T. begonnen. Der angeklagte SEK-Beamte, dem die Staatsanwaltschaft Hannover fahrlässige Tötung durch einen versehentlich ausgelösten Schuß vorwirft, hatte am späten Abend des 30. Juni 1994 dem fliehenden jungen Kurden aus nächster Nähe in den Rücken geschossen. Vor der Verfolgungsjagd hatte der Polizeiobermeister, der zusammen mit einem Kollegen auf SEK-Zivilstreife war, den 16jährigen beim Kleben von Plakaten der kurdischen Befreiungsbewegung ERNK beobachtet. Wie schon in der ersten Hauptverhandlung, die 1996 nach der Erkrankung zweier Richter abgebrochen wurde, lehnte die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Hannover auch gestern alle Anträge der Vertreter der Eltern und Geschwister des Opfers zunächst ab. Die Strafkammer wollte die Anklage nicht ausweiten und dem SEK-Beamten auch nicht den rechtlichen Hinweis geben, daß eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts möglich sei. Die Strafkammer entschied sich ebenso dagegen, einen weiteren renommierten Schußsachverständigen hinzuzuziehen, der von sich aus wegen des Todesschusses auf Halim Dener zahlreiche Schußversuche unternommen hatte. Wie der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz für die Nebenklage ausführte, ist der Experte Christian Schyma in Zusammenarbeit mit dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt bei seinen Tests zu dem Ergebnis gekommen, daß sich aus der Tatwaffe, einem Smith und Wesson Revolver, durch eine Reflexbewegung kein erster Schuß lösen könne. Bei nicht vorgespannter Waffe müsse beim ersten Schuß ein Abzugswiderstand von 4,3 Kilo überwunden werden.

Nach Ansicht des Anklagevertreters, Oberstaatsanwalt Nikolaus Borchers, hat sich der tödliche Schuß versehentlich gelöst, als der SEK-Beamte die vorher aus dem Holster gefallenen Waffe wieder einzustecken versuchte und dabei den Revolver am Rücken des Opfers vorbeiführte. Laut Anklageschrift ist der im Ergebnis tödliche Reflex des SEK-Beamten letztlich durch das Opfer selbst verursacht worden, das sich im gleichen Moment aus einem Polizeigriff befreit haben soll. Oberstaatsanwalt Borchers empfahl, endgültig über den zweiten Schußwaffensachverständigen erst nach der Beweisaufnahme zu entscheiden. Dieser Empfehlung folgte die Strafkammer.

Seinen Antrag auf eine Ausweitung des Anklagevorwurfs begründete Nebenklagevertreter Schultz mit dem Hinweis auf mehrere Tatzeugen, denen zufolge am 30. Juni 1994 der SEK-Beamte mit gezogener Waffe hinter dem späteren Opfer herlief. Jürgen Voges