■ Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. In beispielloser Härte stellt sich die Bundesbank gegen Kanzler und Finanzminister. Ihr Präsident Tietmeyer verteidigt sein größtes Kapital: Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit.
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Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. In beispielloser Härte stellt sich die Bundesbank gegen

Kanzler und Finanzminister. Ihr Präsident Tietmeyer verteidigt sein größtes Kapital: Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit.

Kinnhaken für Goldmacher Waigel

Einen Preis für besonderes Fingerspitzengefühl, den „subtelty award“, hat er letztes Jahr von der US-Zeitschrift Global Finance erhalten. Am Mittwoch abend hieß es auf einem Empfang der Hessischen Landeszentralbank für 200 Topbanker, er habe „Ohrfeigen“ und „Kinnhaken“ verteilt. Hans Tietmeyer, der Präsident der Deutschen Bundesbank, hatte zuvor in nie dagewesener Härte und kristallener Klarheit den Plan von Finanzminister Theo Waigel verurteilt, die Gold- und Devisenreserven der Zentralbank drastisch aufzuwerten. Die auf diese Weise zustande kommenden rein rechnerischen Gewinne – bis zu 40 Milliarden Mark könnten es sein – will sich der Herr der Löcher noch in diesem Jahr überweisen lassen. Nur so meint er, noch die Hürden in die Europäische Währungsunion überspringen zu können.

Dies sei ein „Eingriff in die Geldpolitik der Bundesbank“, schrieb der Zentralbankrat am Mittwoch in seiner Stellungnahme. Eine solche Maßnahme stünde nicht nur „im Widerspruch zur deutschen Traditition“, sondern auch zu den „Vorstellungen des Maastricht-Vertrages über die Unabhängigkeit der Notenbanken“. Daraus resultiere „die Gefahr der Einbuße an Vertrauen in die Stabilität der künftigen europäischen Währung“.

So deutlich hat sich die Bundesbank kaum je gegen die Regierung gestellt. Ihm sei auch nach längerem Nachdenken kein Konflikt zwischen Frankfurt und Bonn eingefallen, der ähnlich heftig gewesen sei, meinte gestern der Sprecher der Bundesbank – nicht mal der Streit zwischen Helmut Kohl und Tietmeyers Vorgänger Karl Otto Pöhl über die deutsche Vereinigung. Pöhl hatte den Eins-zu- eins-Umtausch der DDR-Mark als Todesstoß für die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft bewertet. Einige Zeit, nachdem sich Kohl durchgesetzt hatte, zog Pöhl die Konsequenzen und trat zurück.

Der sonst eher trocken und verhalten wirkende Tietmeyer stellte sich diesmal offen zum Kampf. „Es geht ums Eingemachte“, erläuterte sein Sprecher. Nicht weil die Bilanzierung des Goldes zu Marktpreisen an sich eine Katastrophe sei. Die künftige Europäische Zentralbank schreibt dies ohnehin ab 1999 vor. Auch nicht, weil die Ausschüttung des Geldes an den Staat zur inflationstreibenden Geldvermehrung führen würde. Die Geldmenge ist „beherrschbar“, so der Zentralbankrat selbstbewußt in seiner Erklärung.

Nein, diesmal geht um das gesamte Kapital der Bundesbank: das Kapital, das nicht so sehr aus Gold- und Devisenreserven besteht, sondern aus der Glaubwürdigkeit, die sich die deutsche Notenbank seit dem Krieg erarbeitet hat. Die Glaubwürdigkeit aber, die die Finanzmärkte mehr beeinflußt als alles andere, basiert auf der Unabhängigkeit, dem Konservatismus und der sturen Stabilitätsorientierung der Zentralbanker. Daher ist der Kampf gegen Waigels Versuch, die Bundesbank zu entmachten, weit mehr als der Kampf für einen stabilen Euro.

Mit seiner Empörung sucht sich Tietmeyer Verbündete an ungewohnter Stelle: in der Öffentlichkeit. Hier beweist er genau das Fingerspitzengefühl, für das er ausgezeichnet wurde. Er kennt die Stimmung im Volk, das um die Stabilität der Mark fürchtet. Nicht die Politiker, sondern die Bundesbank genössen in dieser Frage das Vertrauen der Menschen, ist sich der hessische Zentralbankchef Ernst Welteke sicher. Man habe schon zahlreiche Anrufe aus der Bevölkerung erhalten, ergänzt der Bundesbanksprecher, die davor warnten, das Vertrauen zu verspielen.

Die Opposition hat ebenfalls klar den Schuldigen ausgemacht: Waigel. Unisono fordern SPD und Grüne den Rücktritt des Finanzministers. Er schade der Glaubwürdigkeit Deutschlands, wetterte SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping etwa. Ingrid Matthäus-Meier (SPD) sagte, ihre Fraktion wolle nächste Woche Waigels Entlassung im Parlament beantragen. Selbst in der CDU wurde Unmut laut: Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf begrüßte die Stellungnahme des Zantralbankrates. Ob der Finanzminister auf diese Reaktionen hin wirklich im Bundestag die notwendige Änderungen des Zentralbankgesetzes durchdrücken könne?, fragt der Bundesbanksprecher fast genüßlich.

Auch die ausländische Presse stellt einhellig die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Waigels Politik. Besonders sauer sind offenbar die Franzosen, die sich seit langem unter der deutschen Stabilitätsknute fühlten. Lionel Jospin, der nächste Woche möglicherweise sozialistischer Premier wird, lästerte, daß der deutsche Finanzminister und Lehrmeister ja nun ganz still sein müsse, was etwaige haushaltspolitische Tricks anderer Euro-Anwärter anbelange.

Nur in Brüssel hält man sich bedeckt, offenbar wartet die EU- Kommission ab, wie der Kampf ausgeht. Patrick Child, Sprecher von Finanzkommissar Yves-Thibault de Silguy, sagte lediglich, daß es Sache der Statistikbehörde Eurostat sei, den Waigel-Plan zu prüfen. Und dazu werde sie etwa sechs Wochen brauchen. Die währungspolitische Sprecherin der SPD-Europaparlamentarier hält das Ganze gar für einen „Sturm im Wasserglas“. Sie teilt die Aufregung ihrer Genossen in Deutschland keineswegs. Die Stabilität des Euro müsse keineswegs leiden, denn schließlich werde keinerlei Gold verkauft und kein neues Geld gedruckt.

Das sehen zahlreiche Analysten bei den Banken anders. Sie befürchten, daß der Streit zwischen Bonn und Frankfurt die Stärke der D-Mark akut untergrabe. „Anrüchig“ nannte der Commerzbank- Volkswirt Peter Pietsch das Vorgehen der Bundesregierung. Und tatsächlich ist die Mark an den Devisenbörsen schon im Vorfeld der Bundesbankstellungnahme ins Rutschen gekommen. Auch das Vertrauen in den Euro, das ohnehin bei den Analysten nie sonderlich hoch war, wird weiter geschädigt.

Die Maastricht-Kriterien über Haushaltsdisziplin sowie geringe Inflation und Währungsschwankungen sollten schließlich die Stabilität der künftigen Gemeinschaftswährung garantieren. Dies führt Waigel nun ad absurdum. Streng gesprochen hält er stur wie eh und je an der „Punktlandung“ fest: Kein Euro- Anwärter dürfe ein Haushaltsdefizit über drei Prozent des Bruttoinlandprodukts aufweisen. Mit dieser Sturheit hat Waigel viele Europäer gegen sich aufgebracht, die seit Jahren unter einer Politik leiden, die finanzpolitische Interessen über sozialpolitische Notwendigkeiten stellt. Doch die Art und Weise, wie Waigel seine Punktlandung hinbekommen will, hat mit Konvergenz und Stabilität nicht das Geringste zu tun.

Theo Waigel beharrte indes gestern wie auch Kanzler Kohl auf dem Primat der Politik. Mit der lapidaren Begründung, daß 1999 die Goldbestände sowieso neu bewertet werden müssen – „was 1999 richtig ist, kann 1997 und 1998 nicht falsch sein“ –, verteidigte er sich gegen die Kritik der Bundesbank. Forderungen nach seinem Rücktritt sehe er „gelassen“, so etwas höre er jeden Tag.

Bei Bankexperten hingegen ist noch lange nicht ausgemacht, wer gehen muß. Sie halten einen Rücktritt sowohl von Waigel als auch von Tietmeyer für möglich. Nicola Liebert