Hongkong wird chinesisch

■ Acht Sonderseiten: Hoffnung und Angst in der britischen Kronkolonie vor der Übergabe

ongkong ist chinesisch. In der britischen Kronkolonie, die am 1. Juli um null Uhr mit der Volksrepublik wiedervereinigt wird, sind H

95 Prozent der Einwohner Chinesen. Künftig wird Hongkong jedoch auch im politischen Sinne „chinesisch“ sein. Nicht, daß die Bevölkerung die Wahl gehabt hätte. „Die Menschen in Hongkong wurden nie gefragt, ob sie eine britische Kolonie werden wollten. Genausowenig wurden sie gefragt, ob sie zu China zurückwollen“, sagt Li San San, die in einer Hongkonger Frauenorganisation arbeitet.

Aus Pekinger Sicht wird mit der Rückkehr zum Mutterland das koloniale Unrecht des 19. Jahrhunderts beendet. Mit Ausnahme des portugiesischen Macao, das 1999 an China übergeben wird, markiert die Übergabe Hongkongs das Ende des westlichen Kolonialismus in Asien. Die letzte kommunistische Großmacht übernimmt damit die Kontrolle über eine der dynamischsten Metropolen der Region.

Die Boomtown Hongkong, das Mekka der Neoliberalen, ist eine protzende Ausgeburt der Wolkenkratzerkultur und Chinas kapitalistische Schnittstelle im Zeitalter der Globalisierung. Hongkong ist Tempo, Effizienz, fiepende Handys, permanentes Bauen und Geschäfte rund um die Uhr, aber auch kulturelle Vielfalt und ein Nebeneinander unterschiedlicher Wertvorstellungen. Kein Wunder, daß die Geschäftswelt in dem Unternehmerparadies optimistisch in die Zukunft und auf den großen chinesischen Absatzmarkt blickt. Die Aktivisten der Demokratiebewegung sehen dagegen dunkle Wolken über der Zukunft der Stadt hängen, zumal der Provisorische Legislativrat, der am 1.Juli die Amtsgeschäfte übernimmt, bereits Einschränkungen der Bürgerrechte angekündigt hat.

Die Hongkonger Bevölkerung hofft, daß sich China an die mit der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ gemachten Versprechungen hält. Danach soll die künftige Sonderverwaltungsregion für fünfzig Jahre das bisherige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beibehalten und sich weitgehend selbst regieren.

Diese Erwartung teilt William Wong, der seit elf Jahren jeden Abend im Zentrum von Kowloon sitzt und seine Fähigkeiten auf einem roten Transparent mit der Aufschrift „Wahrsager, Handlesen, Zukunft, Business“ anpreist. Nachdem er umgerechnet zwanzig Mark kassiert hat, ist er zu einer Prognose bereit: „Hongkongs Zukunft sieht gut aus“, verkündet er. „Es wird keinen Ärger geben. Die Geschäfte werden gut laufen. Solange die Gesetze eingehalten werden, gibt es keine Probleme. Aber auch China muß sich an die Abmachungen halten.“

Auf den Sonderseiten der taz beschreibt Sven Hansen die Stimmungslage in einer Stadt, in der es (mindestens) zwei Meinungen zum Thema Übergabe und Zukunft gibt. Hansen, Asien-Redakteur der taz, hat die Seiten auch zusammengestellt. Emily Lau, bis zum 31.Juli noch gewählte Abgeordnete und Aktivistin der Demokratiebewegung, befürchtet einen Verlust an Freiheiten und die Zunahme von Machtmißbrauch und Korruption. Demgegenüber sieht der Industrielle Henry Tang eine neue Ära wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands kommen.

Aus westlicher Sicht fordert der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff internationale Unterstützung für den Erhalt politischer Freiheiten in Hongkong. Darüber hinaus weist er darauf hin, daß Demokratie auch wichtig ist für die Rechtssicherheit bei Investitionen in China. Georg Blume geht der Frage nach, warum sich der Westen vor dem wiedervereinigten China fürchtet. Robert Kaltenbrunner und Beate Rusch beschreiben die Suche nach kultureller Identität in einer Stadt, in der Asien und der Westen aufeinandertreffen.Beate Seel

Hongkong wird chinesisch – Seiten 9 bis 16