Klamotte behutsam ausgebremst

■ Udo Samels „Don Pasquale“öffnet die Ohren für Musik und die Augen für Ruhesitze

Der Besucher der Premiere von Donizettis „Don Pasquale“, dieser späten musikalischen Frucht am verblühenden Baum der italienischen Commedia del'arte, mag wohl am Samstag abend im Theater am Goetheplatz – so er den Opernführer zu Rate gezogen hat – ein überschäumendes Spektakel erwartet haben. Immer wieder ist ja so ein alter, von allen betrogener Geizkragen auf der Opernbühne saukomisch, den trotz verstärkt einsetzenden Gichtleidens die Lust auf ein zuckersüßes „Bräutchen“überfällt und der zugleich den unbotmäßigen Neffen, der sein Auge auf dieselbe Frau geworfen hat, enterben kann.

Der Schauspieler Udo Samel hat in seiner zweiten Regiearbeit für das Musiktheater die Klamotte ausgebremst. Mit Behutsamkeit, genauer Beobachtung und Respekt vor der zauberhaften Partitur hat er der Versuchung mannhaft, zuweilen aber auch zu mannhaft widerstanden, das „Dramma buffo in tre atti“als die Schmierenkomödie zu inszenieren, die das eher schwache Libretto nahelegt.

Das ist gut so, denn Samels Inszenierungsstil öffnet das Ohr für Donizettis Musik, die sich einerseits mit Raffinement, Witz und parodistischem Geschick selbst und die italienische Oper insgesamt auf die Schippe nimmt, andererseits die Handlungsträger unbestechlich, mit zuweilen boshafter Ironie und doch liebevoll charakterisiert. Donizetti schlägt sich nicht unbedingt auf die Seite der Sieger über den blöden Alten. Sein Don Pasquale hat zwar seine Macken, er behält aber seine menschliche Würde. Norina, das schlaue Luder, wird mit sinnentleerten Koloraturen, heftigem Trompetengeschmetter und hohlen orchestralen Ausbrüchen keineswegs zur Sympathieträgerin. Um Ernesto, den Geliebten, und ums Happy-End wird einem bang, denn ihm hat der Komponist zwar auch die Trompete zur Seite gestellt, sie bläst indes nicht zur Attacke, sondern höchst melancholisch vor sich hin.

In Bernhard Klebers Bühnenbild, das uns vor azurblauem Himmel einen prachtvollen, etwas angegammelten Altersruhesitz zeigt, den man sich nur wünschen kann, entfaltet Samel ein mit kleinen Gesten auskommendes, genau auf die Musik hörendes Kammerspiel. Wenn der geschaßte Erbe Ernesto die Espressotasse des bösen Onkels ausschlürft, erfährt man ebensoviel über ihn wie aus seinen lamoryanten Klage- und Verzichtsgesängen. Wenn Norina ihre Lesebrille beiseite legt und ihr Buch mit Staubwolke zuschlägt, weiß man, gleich fließt Blut. Sieht man Don Pasquale um seinen geliebten schäbigen Sessel kreisen, erfährt man, was er eigentlich will. Und wenn der Alte vom Objekt seiner Begierde eine Watschen erhält, so legt das fassungslose Staunen des Hauspersonals ebenso wie das erstarrte Erschrecken der Austeilenden ganz unspektulär die tragischen Dimensionen der Komödie offen.

Im homogenen Sängerquartett überzeugte Anu Komsi besonders. Mit ausgefeilter Technik führte sie ihren mit bittersüßem Vibrato schwebenden Sopran durch die Tücken der Partie. Ihre charmante, aber bedenkenlos betrügende Norina ist doppelbödig. Das läßt besorgen, daß selbst das Liebesduett mit Ernesto nicht frei von Heuchelei ist. Shivko Shelev sang den Ernesto mit zurückhaltendem Schmelz. Heikki Kilpeläinens flexibler klangschöner Bariton zeigte den intriganten Dr. Malatesta in öligem Glanze. Karsten Küsters wußte sein urkomödiantisches Temperament wohl zu bezähmen. Sein präzise und trocken gesungener alter Herr weckt Zuneigung und rührt an, hängt er seinen Illusionen nach. Man gönnt ihm sein Glas Rotwein im offenbar wiedergefundenen Lehnstuhl, das eigentliche von Samel inszenierte Happy-End.

Daß die Reduktion der Aktion auf der Bühne produktiv werden konnte, war der beherzt zupackenden musikalischen Leitung Massimo Zanettis zu danken. Ihm blieb kein musikalischer Witz, keine ironische Brechung und keine emotionale Explosion verborgen. Das Philharmonische Staatsorchester folgte ihm behende, meist sehr konzentriert und mit parodistischem Übermut. Darstellungs- und Sangeskunst des Theaterchores ließen keine Wünsche offen. Das Bremer Premierenpublikum nahm diesen Aktion durch Reflexion ersetzenden Opernabend mit Dankbarkeit auf. Daß Buhrufe ausbleiben, muß also nicht immer ein schlechtes Zeichen sein. Mario Nitsche

Aufführungen: 5., 7., 10., 12. und 14. Juni um 19.30 Uhr