Hoffen auf ein Machtwort des Papstes

Johannes Paul II. besucht seine Heimat. Die Polen, die sich erbittert um die Verfassung und das Recht auf Abtreibung streiten, sehnen sich nach einer gesellschaftlichen Versöhnung  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Noch hat Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Polen nur eitel Sonnenschein verbreitet. Noch fielen keine Worte der Anklage, der Mahnung, der Aufforderung zur Umkehr. Genau das aber erwarten die zerstrittenen Polen von ihrem Papst. Er soll ein Machtwort sprechen. Daran läßt es zwar die katholische Kirche in Polen nicht mangeln. Die Predigten von Primas Jozef Glemp schüren nur das ohnehin schon politisch aufgeheizte Klima. Die Polen – zerstritten wie nie – sehnen sich nach Versöhnung, nach Frieden mit sich selbst.

Elf Tage Zeit hat der „Heilige Vater“, um die in Polen erbittert diskutierten Fragen nach der richtigen Verfassung, dem Recht auf Abtreibung, dem richtigen Umgang mit der Vergangenheit aufzugreifen. Es ist seine sechste Pilgerreise in die Heimat, die bislang längste und möglicherweise auch die letzte. Das Programm des 77jährigen zumindest läßt auf einen Abschiedsbesuch schließen: dem Wintersportort Zakopane, wo der junge Karol Wojtala einst Ski gelaufen ist und Bergtouren in die Hohe Tatra unternommen hat, will er einen längeren Besuch abstatten. Zwei Tage später, am 7. Juni, wird er in Krakau, der Stadt seiner Kindheit und Jugend, nicht nur die polnische Königin Jadwiga heiligsprechen, sondern auch die Gräber seiner Eltern und Geschwister besuchen.

Auch ein Abstecher in das Sodawerk Solvay ist geplant. Dort hatte der Polonistikstudent und begeisterte Laienschauspieler zunächst im Steinbruch, dann in der Fabrik gearbeitet. Die „Solvay- Kennkarte“ bewahrte ihn während des Zweiten Weltkriegs vor der Deportation zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich. In Krakau begann er auch an der Untergrunduniversität Krakau das Studium der Theologie.

„Die Polen lieben ihren Papst, doch sie hören nicht auf ihn. Und wenn sie auf ihn hören, verstehen sie ihn nicht immer“, charakterisiert Janusz Majcherek in der Tageszeitung Rzeczpospolita die von außen immer wieder höchst paradox erscheinende Religiösität seiner Landsleute. In Umfragen bekennen sich über 90 Prozent der Polen zum Katholizismus, doch in Konfliktsituationen richten sich nur sieben bis acht Prozent der Polen einer Meinungsumfrage zufolge auch nach der Lehre der Kirche.

Dieser Widerspruch spiegelt sich in der politischen Kultur des Landes wider. Die Nationalkatholiken sind auf dem Vormarsch. Daß Pole nur sein kann, wer auch Katholik ist, ist für diese Strömung selbstverständich. Radio Maryja, das rund 14 Prozent aller Polen regelmäßig hören, gehört genauso zu den nationalkatholischen Scharfmachern wie die „Wahlaktion Solidarność“ (AWS), die als aussichtsreichste Partei für den Wahlkampf im Herbst gilt.

Der Haß, den diese Bewegung gegen die regierenden Postkommunisten schürt, kann schnell in unkontrollierte Gewalt umschlagen – so geschehen, als AWS-Chef Marian Krzaklewski gegen die „Verräter“ in der Regierung demonstrieren ließ und die ersten Molotowcocktails flogen. Radio Maryja forderte seine Hörer auf, diejenigen Abgeordenten kahlzuscheren, die für die Liberaliserung der Abtreibung gestimmt hatten. Mißliebige Politiker werden kurzerhand zu Juden oder Freimauern erklärt oder zu „polnischsprachigen Verrätern an der Nation“.

Doch auch der Papst, den diese Nationalkatholiken angeblich so verehren, ist zum Leidtragenden geworden. Die „Wahlaktion Solidarność“ funktionierte seine Reise kurzerhand zur eigenen Wahlkampagne um. Auf 800 riesigen Reklametafeln, mit 150.000 Plakaten, Millionen von Postkarten begrüßt AWS den Papst. „Ich bete täglich für euch“, wird er auf der Postkarte zitiert. „Ich bete täglich für diejenigen, die das Erbe von Solidarność angetreten haben.“ Das Episkopat protestierte nicht gegen die politische Vereinnahmung des Papstes.

Das ist nun wieder ein Problem der Kirche in Polen. Die Gläubigen wünschen sie sich als moralische Autorität. Durch ihr politisches Engagement – 60 Prozent der Polen halten den Einfluß der Kirche auf die Politik für zu stark – trägt die Kirche entscheidend zur Spaltung der Gesellschaft in zwei sich feindlich einander gegenüberstehende Lager bei. Ob der Papst hier tatsächlich versöhnend wirken kann, erscheint angesichts der erbitterten Auseinandersetzungen eher fraglich.