EU kontrolliert out of area

Ein Verbot der geplanten Megafusion von Boeing und McDonnell Douglas müßte über gigantische Bußgelder durchgesetzt werden  ■ Aus Freiburg Christian Rath

Mit einem Handelskrieg rechnet eigentlich niemand so ganz ernsthaft. Doch bevor die Verhandlungen über die Megafusion der amerikanischen Flugzeugbauer Boeing und McDonnell Douglas richtig losgehen, überprüfen alle Beteiligten ihr Drohpotential. Sowohl die EU-Kommission in Brüssel als auch die amerikanische Regierung wissen, daß man in diesem bisher beispiellosen Konflikt nur aus einer starken Position gute Verhandlungsergebnisse erzielen kann.

Vorletzte Woche hat die EU- Kommission eine 60seitige Liste mit Einwänden gegen die Fusion an die beteiligten Firmen geschickt (siehe Kasten). Am 12. und 13. Juni findet ein Gespräch mit Boeing und McDonnell statt. Machen diese keine Zugeständnisse, dann müssen sie damit rechnen, daß die EU-Kommission den geplanten Zusammenschluß verbietet. Die Brüsseler Behörde fühlt sich nämlich auch für Zusammenschlüsse außerhalb des EU-Gebiets zuständig – wenn diese den Wettbewerb in Europa zu beeinträchtigen drohen.

So prüfte die EU-Kommission im letzten Jahr auch den Zusammenschluß der beiden Schweizer Chemiekonzerne Ciba-Geigy und Sandoz zur neuen Novartis AG. Ein Out-of-area-Fusionsverbot wurde von Brüssel jedoch erst ein einziges Mal ausgesprochen. Im April 1996 untersagte die EU-Behörde die Fusion von zwei südafrikanischen Platinproduzenten. Die Minengesellschaften zeigten sich folgsam und unterließen den Zusammenschluß.

Damit wäre im Falle der Flugzeugbauer Boeing und McDonnell Douglas allerdings kaum zu rechnen. Sollte die amerikanische Kartellbehörde den Deal Anfang Juli absegnen – und damit wird allgemein gerechnet –, dann werden es die beiden Firmen wohl eher auf einen Konflikt ankommen lassen; zumal die US-Regierung den Firmen auch bereits ihre Unterstützung signalisiert hat. Eine internationale Berufungsinstanz für derartige Konflikte existiert bisher noch nicht. Die Welthandelsorganisation WTO hat bei ihrer letzten Konferenz in Singapur gerade einmal eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die über eine globale Wettbewerbsordnung diskutieren soll. Doch Fusions- und Kartellkontrolle ist noch lange nicht überall populär.

Vor allem viele Staaten in den armen Weltregionen haben hiergegen deutliche Vorbehalte. Ziel der westlichen Welt ist dagegen eine internationale Anti-Trust-Behörde, die über Wettbewerbsbeschränkungen durch private Unternehmen verbindlich entscheiden kann. Mit Ergebnissen wird allerdings vor der Jahrtausendwende nicht mehr gerechnet.

Im Konflikt mit Boeing und McDonnell müßte die EU-Kommission deshalb noch im Alleingang agieren. Dabei könnte Brüssel ein gigantisches Bußgeld von bis zu 3,6 Milliarden Dollar gegen die beiden Firmen verhängen – falls diese ein eventuelles Fusionsverbot ignorieren. Die Summe entspricht 10 Prozent des gemeinsamen Umsatzes der beiden Flugzeugbauer.

Zwar reicht die Gewalt der EU- Kommission nicht bis in die Vereinigten Staaten, so daß man das Bußgeld also kaum direkt eintreiben kann. Doch die beiden Firmen verkaufen ja auch Flugzeuge in Europa. Und auf diese Einnahmen würde die Kommission dann zuzugreifen versuchen.

In Brüssel prüft man folgendes Szenario: So, wie der Lohn eines verschuldeten Arbeitnehmers gepfändet werden kann, würde die EU-Kommission bei den belieferten Fluggesellschaften gleich den kompletten Kaufpreis abkassieren – so lange, bis das Bußgeld beglichen ist. Klar, daß die amerikanischen Flugzeugbauer unter diesen Umständen an Geschäften in Europa nur noch wenig Interesse hätten.

Hier könnte deshalb doch noch die WTO ins Spiel kommen. Denn wenn die USA die EU-Maßnahmen gegen die Boeing-Fusion nicht anerkennen, könnte sie diese in Genf als banale Handelshemmnisse denunzieren. Der jetzt schon geäußerte Vorwurf würde dann lauten: versteckter Protektionismus zugunsten des europäischen Airbus-Konsortiums. Airbus ist immerhin der schärfste Boeing- Konkurrent im zivilen Bereich. Brüssel würde sich demgegenüber auf sein legitimes Interesse an wirksamer Wettbewerbspolitik berufen.

Grundsätzlich ist die WTO für derartige Handelskonflikte zwar zuständig, aber auch Experten ist völlig unklar, an welchem Maßstab sie das Verhalten der EU messen könnte. Denn weltweit verbindliche Standards über „angemessene“ Wettbewerbspolitik fehlen ja gerade noch. Mehr als eine bloße Kontrolle, ob die EU-Maßnahmen willkürlich waren, dürfte deshalb nicht möglich sein. Und bei diesem Maßstab wären die US-amerikanischen Karten wohl nicht allzu gut. Denn eine gewisse Dominanz von Boeing auf den relevanten Märkten könnte auch die US-Regierung nicht bestreiten.

So gesehen geht die EU-Kommission also nicht mit ganz leeren Händen in die anstehenden Verhandlungen mit Boeing und McDonnell. Beobachter erwarten, daß die Brüsseler EU-Kommission den beiden Flugzeugbauern vor allem den Verzicht auf weitere Exklusivverträge mit Fluggesellschaften nahelegen wird. Hat die Kommission auf diesem Weg letztlich Erfolg, wäre dem Wettbewerb – und damit natürlich auch Airbus – unmittelbarer gedient als mit einem Fusionsverbot.