Grün und kein bißchen weise

■ Heinrich-Böll-Stiftung läßt grüne Funktionäre über Verzicht und Konsum in Zeiten der Globalisierung diskutieren

Hamburg (taz) – Privatbesitz von Autos? Ferienreisen nach Mallorca? Der Verzicht auf derlei Errungenschaften fällt dem Philosophen Vitorio Hösle leicht: „Ich habe keinen Führerschein und war auch noch nie auf Mallorca.“ Hinter dem Outing steht jedoch eine Mahnung: „Wir müssen den Lebensstandard etwas senken. Und das nicht nur aus moralischen und ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen.“ Ob der Wirtschaftswissenschaftler Günter Faltin die „intelligente Askese“ einklagte, ob Reinhard Loske vom Wuppertal Institut schlicht die Parole „Maßhalten!“ ausgab, oder die grüne Bundestagsabgeordnete Michaele Hustedt prophezeite, daß „die fetten Jahre nicht wiederkommen“ – die Botschaft des ersten Kongresses der Heinrich- Böll-Stiftung „Wege aus der Wachstumsfalle“ am Wochenende in Hamburg war unmißverständlich: Mit Solardächern und Drei- Liter-Autos, Blockheizkraftwerken und Recyclingwirtschaft, Biokartoffeln und politisch korrektem Teepreis ist die Welt nicht davor zu bewahren, „an ihren Errungenschaften zugrunde zu gehen“, wie Carl Amery formulierte.

Amery konfrontierte die gut 500 VertreterInnen des angegrünten Establishments aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden mit den Wurzeln der grünen Bewegung: „Das Überleben der Menschheit steht auf dem Spiel.“ Die Rezepte der Globalisierung, Privatisierung, Deregulierung und Anpassung charakterisierte er als „Empfehlung, die Fahrt in den Jahrtausendabgrund durch Beschleunigung abzubremsen“. Diese Mahnung treffe bei vielen Grünen auf halbverstopfte Ohren, sagte Loske. „Die Grünen sind einst mit apokalyptischen Warnungen gestartet, haben sich jetzt aber auf einen politischen Konstruktivismus umorientiert und fürchten, wenn sie ökologische Grundwahrheiten ansprechen, wieder als Ewiggestrige dazustehen.“ Die Angst grassiert, man könne mit Appellen zur Änderung des Lebensstils in die Ecke der konservativen Verzichtsprediger gestellt werden.

Dieser Angst der im parlamentarischen und rot-grünen Alltag befangenen Politfunktionäre mochte die Mehrzahl der ExpertInnen allerdings nicht folgen. Sie boten eine Vielzahl von Wegen aus der Wachstumsfalle an, die auch Wege für ein grünes Politikmarketing sein könnten. Ein „nachhaltiger Wohlfahrtsstaat“ mit gesichertem Grundeinkommen für alle, wies der Sozialwissenschaftler Michael Opielka nach, ist keineswegs vom herkömmlichen Wirtschaftswachstum in monetären Größen abhängig. „Weniger Vielfalt, mehr Haltbarkeit, asketische Produkte von höchster Qualität“, also Manufactum statt Woolworth, empfahl Günter Faltin als Weg vom Wegwerf- zum Qualitätskonsum. Michaele Hustedt entdeckte gar eine ganze Reihe „eierlegender Wollmilchschweine“, die soziale Gerechtigkeit, neue Arbeitsplätze und die ökologische Verträglichkeit in sich vereinen – wie zum Beispiel die ökologische Steuerreform. „Die Ökologen müssen politischer werden, sich in die harten Themen einmischen“, forderte Hustedt. Die Konturen einer grünen Welt, die die Menschheit vor den Folgen von Kapitalismus und Sozialismus rettet, blieben dennoch unscharf.

Sollen es die kleinen, positiven Innovationen sein, die den Marsch der Lemminge fünf Sekunden vor Zwölf stoppen? Brauchen wir eine ökologische Weltregierung, die Vitorio Hösles Kategorien einer Nationen, Generationen und Klassen übergreifenden Gerechtigkeit ausführt? Stehen wir vor einem Quantensprung in der Ökotechnologie, oder reicht es, vorhandene Technologien und Formen der Organisation von Arbeit und Gesellschaft anzuwenden?

Der Bedarf, konkreter und offensiver weiterzudiskutieren, war unverkennbar. Schließlich gilt es, wie Bernd Schütt von der IG Bau, Agrar, Umwelt formulierte, dem „religiösen Zug der Standortdebatte“ etwas entgegenzusetzen. Florian Marten