Gegen perfekte Kinder

■ Kirchenvertreter warnen vor obligatorischer pränataler Diagnostik. Behinderte Kinder haben ein Recht auf Leben

Hannover (taz) – Zu einem bewußterem Umgang mit der pränatalen Diagnostik haben der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Klaus Engelhardt, und der Vorsitzende der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, gestern zum Auftakt der kirchlichen „Woche für das Leben“ aufgerufen.

In ihren Eröffnungsgottesdiensten warnten beide Bischöfe vor obligatorischen vorgeburtlichen Untersuchungen von Embryos auf Erbschäden. Beide betonten das Recht von werdenden Müttern oder Eltern „auf Nichtwissen“. Bischof Karl Lehmann beklagte in der hannoverschen Clemenskirche, „daß die Erkenntnis über beeinträchtigtes oder gar geschädigtes Leben, die nicht immer solide ist, in einem hohen Maß zur Abtreibung führt“. Der EKD-Ratsvorsitzende Klaus Engelhart kritisierte in der Marktkirche, daß die ökonomische Ausrichtung der Gesellschaft das Ja zum Kind erschwere. Kein behindertes Kind dürfe aus ökonomischen Gründen als Schadensfall betrachtet werden. Die mörderische Unterscheidung zwischen lebenswertem, weniger lebenswertem oder gar lebensunwertem Leben dürfe es nicht geben.

Beide Bischöfe erklärten auch, daß sie pränatale Untersuchungen auf Erbschäden keineswegs grundsätzlich ablehnen. „Die vorgeburtlichen Untersuchungen bringen auch Segen, da vielen Frauen die Angst vor einem behinderten Kind genommen werden kann“, sagte etwa Karl Lehmann. Auch für Engelhardt ist es eine Errungenschaft, daß die pränatale Diagnostik „Eltern von der monatelangen Ungewißheit befreien kann“.

In der anschließenden Eröffnungsveranstaltung der „Woche für das Leben“ verlangten die beiden Kirchenoberen eine bessere Beratung von schwangeren Frauen, die sich der pränatalen Diagnostik bedienen. Zugleich forderten sie die Gesellschaft auf, ihre Behindertenfeindlichkeit abzulegen. Vor den rund 300 Gläubigen auf der Veranstaltung, unter die sich sich auch einige Abtreibungsgegner gemischt hatten, wandte sich Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) gegen „den Anspruch auf ein rundum gesundes und perfektes Kind“. Die medizinische Indikation dürfe nicht für die Abtreibung behinderter Kinder mißbraucht werden.

Demgegenüber beharrte die niedersächsische Frauenministerin Christina Bührmann (SPD) darauf, daß allein die schwangeren Frauen über einen Abbruch zu entscheiden hätten. Die Entscheidung, auch ein nicht gesundes Kind großzuziehen, könnten Eltern nur treffen, wenn sie dabei genügend Unterstützung durch die Gesellschaft fänden. Jürgen Voges