Blair revolutioniert den Sozialstaat

■ Der britische Premier erhöht den Druck auf Arbeitslose

Berlin (taz) – Der britische Premierminister Tony Blair wagte gestern einen Auftritt in einer heruntergekommenen Sozialwohnsiedlung im Süden Londons, um ausgerechnet dort seine Pläne zur Kürzung der Sozialausgaben vorzustellen. Obwohl Auszüge der Rede seit Tagen in den britischen Medien publiziert werden, war der offizielle Redetext gestern mittag nach Auskunft von Tony Blairs Büro immer noch nicht fertig. Doch wurde erwartet, daß Blair seine Vorstellungen erläutern würde, wonach zur Sanierung des Staatshaushalts Zahlungen an Arbeitsunwillige eingeschränkt werden müßten.

Kern der Rede war laut den bekanntgewordenen Auszügen ein Aufruf an das britische Volk, seinen „Siegeswillen“ wiederzuentdecken und „die neue Arbeitslosenklasse zurück zu nützlicher Arbeit zu führen“. Weiter heißt es: „Der Aufbau Großbritanniens als einer geeinten Nation ist nicht nur eine Aufgabe für die Regierung, sondern eine Aufgabe für alle.“

Zielscheibe von Blairs Vorstoß sind vor allem alleinerziehende Mütter, die von Sozialhilfe leben – 800.000 davon gibt es in Großbritannien. Für sie soll eine Verpflichtung zur aktiven Arbeitssuche eingeführt werden, möglicherweise nach einer Versuchsphase der Freiwilligkeit. Mütter, die nicht mitmachen, müßten mit Leistungsentzug rechnen. Das so eingesparte Geld könnte – so schlug kürzlich Frank Field vor, der Staatssekretär im Sozialministerium – zur Finanzierung einer besseren Tagesbetreuung von Kindern eingesetzt werden. Dafür überlegt die Regierung außerdem den Einsatz von Lotteriegeldern und eine Partnerschaft mit Privatunternehmen.

Schon kurz nachdem er im Juli 1994 die Labour-Führung übernommen hatte, wandte Blair sich gegen die staatliche Unterstützung alleinerziehender Eltern – er sieht die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft an. Sozialreform nach US-Muster und die Betonung von Eigenverantwortung ist ein Kernbereich der Programmatik von New Labour und war auch ein Hauptthema von Bill Clintons Besuch in London vergangene Woche. Während Clintons Aufenthalt stellte die britische Sozialministerin Harriet Harman die Grundlinie der Labour-Regierung bereits klar: „Die beste Form der Wohlfahrt für Leute im arbeitsfähigen Alter ist Arbeit“, sagte sie. Ihre Hauptziele seien „die Verringerung von Armut und Wohlfahrtsabhängigkeit“ und „die Schaffung eines Wohlfahrtssystems, das Arbeit, Sparsamkeit und Ehrlichkeit fördert“. Staatssekretär Frank Field sagte schon Anfang Mai: „Die Revolution, die Tony Blair in der Labour-Partei geschafft hat, muß nun im Sozialstaat wiederholt werden.“

Die endgültige Form dieser „Revolution“ wird im Juli klar werden, wenn Finanzminister Gordon Brown seinen Haushalt vorlegt. Darin wird die Einführung einer Sondersteuer auf privatisierte Dienstleistungsunternehmen erwartet, um Programme zur Arbeitsplatzbeschaffung zu finanzieren. Wer die Angebote an Arbeitsplätzen und Umschulungen dann nicht annimmt, kann nicht mit weiterer staatlicher Unterstützung rechnen. Dominic Johnson