„Freundliche Kirchen-Schonung“

■ Militärhistoriker Manfred Messerschmidt sprach über „Militärseelsorge-politik 1933-1945“/ Begleitprogramm zur „Wehrmachtsausstellung“

Die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus läßt sich am Beispiel der Militärseelsorge exemplarisch aufdröseln. Mit dieser These brachte vergangenen Montag der Historiker Manfred Messerschmidt in seinem Vortrag „Militärseelsorgepolitik 1933-1945“ein selten bearbeitetes Thema der Kirchengeschichte ins präzise Historikerdeutsch: „Taktieren und Zurückhaltung in politischen Fragen gebot sowohl für die Kirchen als auch für Militärseelsorge ein institutionelles Eigeninteresse. Dieses allgemeine Phänomen eines Staatskirchenwesens ist im NS-Staat besonders brisant geworden“.

Gut sechzig Zuhörer waren zu dem Vortrag im Beiprogramm der Wehrmachtsausstellung gekommen – und zeigten sich im vollen Auditorium des Forum Kirche an der Hollerallee von dem Vortrag des Militärhistorikers leicht ernüchtert: „Ich habe den Eindruck, Sie sind sehr schonsam mit meiner Kirche umgegangen“, brachte eine ältere Dame in der ersten Reihe ihr Ungenügen freundlich auf den Punkt. Der Historiker, bekannt für pointierte Stellungnahme in Konflikten von der Waldheim-Affaire bis zum Holocaust-Denkmal, wehrte sich mit Verweis auf die Quellenlage: Aus den offiziellen Unterlagen, den Berichten der Militärseelsorger aus den Einheiten, sei die „Zerreißprobe“, der die Pfarrer an der Front ausgesetzt sein mußten, kaum herauslesbar.

An die 20000 Soldaten - zum Tode verurteilt beispielsweise wegen Wehrkraftzersetzung, Desertion - begleiteten die Feldpastoren zur Hinrichtung. Probleme scheint ihnen das nicht bereitet zu haben; in den Berichten zumindest kommen diese nicht vor. Man habe, so heißt es stattdessen, noch in aller Ruhe eine Zigarette geraucht oder sich die Nacht mit Witzen um die Ohren geschlagen. „Seltene, mutige Ausnahmen“, so Messerschmidt, bestätigen die Regel - der Pfarrer einer in Griechenland eingesetzten Gebirgsdivision beklagt sich in seinem Bericht: „Eine schwere innere Belastung ihres Gewissens bedeutet für viele, auch Offiziere, das Tötenmüssen von Frauen und Kindern bei den Unternehmen gegen die Banden. Der Gewissenskonflikt besteht für die Leute darin, daß sie einerseits keine Befehlsverweigerung begehen, andererseits sich aber auch keiner Übertretung des göttlichen Gebotes schuldig machen wollen.“

Mit seinem Brief aber konnte der Militärpfarrer in Griechenland im Herbst 1943 kaum Unterstützung von seinem Feldbischof im „Amt Seelsorge“des Oberkomando Wehrmacht (OKW) erwarten. Längst hatten sich die Kirchen in der Militärseelsorge von allen Versuchen, eine eigene Haltung zu bewahren, verabschiedet; die Bekennende Kirche (von Ausnahmen abgesehen) nicht weniger als die Katholiken verfolgten seit 1933 die „anpasserische“Linie(Messerschmidt), die Einrichtung der Militärseelsorge zu retten, indem man alle konfessionellen und kirchenpolitischen Inhalte löschte. In seiner Chronik eines unaufhaltsamen Verfalls verfolgte Messerschmidt die Geschichte einer staatskirchlichen Institution, die sich von Beginn der NS-Herrschaft an sukzessiv dem Willen der ideologischen Hardliner Goebbels und Bormanns unterwirft. Und die Wehrmacht spielt munter mit. Spätestens mit Kriegsbeginn definierte das OKW „Feldseelsorge“nur noch „als Förderung und Aufrechterhaltung der inneren Kampfkraft“. Der These aus dem engagierten Publikum, daß dies heute im Ernstfall wohl nicht anders wäre, wurde auch von den zahlreichen Kirchenmitgliedern im Auditorium nicht widersprochen. ritz