Wahlsieg mit Schatten

■ Die Regierung gewinnt, aber nach den Wahlen ist Kanada gespaltener

Washington (taz) – Ganz so, wie Kanadas Premierminister Jean Chrétien sich das vorgestellt hatte, ging die Wahl nicht aus, aber Chiracs Schicksal blieb ihm erspart. Die regierenden Liberalen verloren Stimmen, behielten aber knapp ihre absolute Mehrheit: Von 174 Sitzen im 301köpfigen Parlament sank ihr Anteil auf 155. Vor allem gelang es den Liberalen nicht, ihre Basis zu verbreitern. Sie stützen sich im wesentlichen auf die zentrale Provinz Ontario.

Dramatische Veränderungen brachte die Wahl doch: Als führende Oppositionspartei ging die Reformpartei mit 60 Sitzen aus den Wahlen hervor. Sie löste den „Bloc Québecois“ aus Quebec ab, dessen parlamentarische Vertretung von 50 auf 44 Sitzen schrumpfte. Die Reformpartei vertritt die Ressentiments der entlegenen Westprovinzen Kanadas gegen die alten rivalisierenden Machtzentren Ontario und Quebec am Atlantik. Ihren Erfolg verdankt sie heftigen Angriffen auf die separatistischen Quebecer. Aufsehen erregte Manning mit seiner Aufkündigung der Idee der Binationalität Kanadas: die Vorstellung Kanadas als Schöpfung zweier Gründernationen, einer französischen und einer englischen, sei überholt; Kanada bestehe aus elf gleichberechtigten Provinzen.

Die linksliberalen Neuen Demokraten wuchsen von neun auf 22 Sitze. Die Konservativen, die Kanada bis 1994 regiert hatten und damals vernichtend geschlagen worden waren, erholten sich von zwei Abgeordneten auf 21. Sie sind gleichwohl weit davon entfernt, ihre alte Rolle als Gegenpol zu den Liberalen zu spielen. Das ist um so bedenklicher, als sie sich als einzige ausdrücklich für die nationale Einheit einsetzten. Peter Tautfest