Die Rückkehr der Politik

■ Das Gold für Tietmeyer, die Löcher für Waigel

Zumindest auf dem Papier hat Bundesbankchef Hans Tietmeyer sich durchgesetzt. Er bleibt Herr über die Währungspolitik, und Theo Waigel bleibt Herr über die Löcher. Tietmeyer und Waigel einigten sich gestern, die Umbewertung der Goldreserven frühestens im nächsten Jahr vorzunehmen.

Bundesbankchef Tietmeyer müssen die Löcher im Bundeshaushalt 1997 ja auch nicht scheren. Sie machen allenfalls den von ihm ungeliebten Euro unwahrscheinlicher. Doch Theo Waigel wird mit dieser Einigung in eine tragische Rolle gedrängt. Gegen die eigenen Überzeugungen wird Waigel nun für 1997 deutlich mehr Schulden machen müssen. „Mister 3,0 Prozent“ muß die gerahmten Maastricht-Kriterien von der Wand nehmen und unten in der letzten Schublade seines Schreibtischs verstauen.

Die FDP und die Sozialpolitiker können aufatmen, der Alptraum der Euro-Kriterien hat ein Ende: keine Steuererhöhung, keine Kürzung beim Sozialen, die Selbstkasteiung für ein abstraktes Prinzip hört auf.

Die Politiker der Regierungskoalition spielen nach vielen Krisensitzungen beinahe schon wieder befreit auf. Die FDP schlägt nach dem Motto „Jetzt erst recht“ eine 20 Milliarden Mark höhere Neuverschuldung vor. Die CDU-Sozialausschüsse fordern eine Arbeitsmarktpolitik für Europa. Und tatsächlich wird beim EU-Außenministertreffen über eine solche Politik diskutiert.

Seit dem vergangenen Wochenende haben sich nämlich die politischen Koordinaten in Europa verschoben. Die punktgenaue Erfüllung abstrakter Stabilitätskriterien ist im sozialdemokratischer werdenden Europa politisch aus der Mode gekommen. Frankreich hat gezeigt, nicht die höhere Staatsverschuldung wird von den BürgerInnen als schlimmste Gefahr gesehen, sondern die hohe Arbeitslosigkeit.

Zurück bleibt ein geschlagener Waigel. Aber auch Bundesbankchef Tietmeyer kann seines Sieges nicht froh werden. Der fraglose Bonner Konsens, daß höhere Schulden notwendig sind, verheißt wieder mehr Politik. Denn über den Haushalt 98 und die Steuerreform kann wieder ohne starren Blick auf Maastricht verhandelt werden. Tietmeyer und Waigel, die Euro-Gladiatoren, haben sich geschlagen, doch die Zuschauer haben das Stadion verlassen. Hermann-Josef Tenhagen