Schwarze Löcher im Raumgewebe

■ „Orte und Nicht-Orte“: Ein kategorischer Themenschwerpunkt im Literaturhaus

Es gibt Orte, die auf keiner Landkarte stehen, Räume, die nur den Platz einer Erinnerung haben, und die trotzdem ganz von dieser Welt sind. Was aber, wenn sich diese Räume der Erfahrung an den Rändern auflösen oder gar verschwinden? „Orte und Nicht-Orte“heißt deshalb sehr grundsätzlich eine Veranstaltungsreihe, die das Literaturhaus im Juni ausrichten wird. Lesungen und Gespräche – nach dem Symposion über Zeit-Sprünge, kommen im Rahmen des Architektursommers 1997 jetzt die Dimensionen des Raums in den Blick. In den Koordinaten unterschiedlichster Geographien.

Für Autoren wie Michael Roes und Hans-Jürgen Heinrichs zum Beispiel beherbergt der beschleunigte, weil mittels Technik und Verkehr stets und überrall erreichbare Raum noch immer die Möglichkeit und das Versprechen von Richtung und Sinn. Allen Auflösungen von Proportionen zum Trotz. Die Linien und Wege der Reise, die eigenen Bewegungen innerhalb der Landschaft – sie können zwar weit von den realen Bezügen, niemals aber aus den Erfahrungen selbst herausführen.

Eine Perspektive, die Marc Augé mit seinem Buch über die Orte und Nicht-Orte radikal in Zweifel zieht. Der französische Anthropologe und Ethnologe fokussiert mit seinen Thesen zur „Übermoderne“und ihrem „planetarischen Einerlei“vielmehr die plane Ödnis der Nicht-Orte: Autobahnen, Flughafenhallen und andere unmögliche Aufenthalte – für Augé, der am 10. Juni aus seinen Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit lesen wird, schließen sich die Räume zu einem beliebigen Irgendwo.

Ein solch haltloses Vakuum wäre das eine – die Leerstelle im Gewebe des Raumes, die Erfahrung seiner Passage wiederum das andere. Mehr noch, mit ihren Vorträgen über Transit, terrains vagues und Landschaftsruinen (12. Juni) besetzen Gert Mattenklott, Gerrit Confurius und Gerhard Auer, die Herausgeber der Architekturzeitschrift Daidalos, gewissermaßen den ästhetischen Gegenpol zum kulturkritischen Ansatz Augés. Die Stadt, erscheint in diesen Vorträgen und Gedankenentwürfen als der paradigmatische Ort schlechthin.

Wie real und lebensvoll sich die Metropole im Paris der zwanziger und dreißiger Jahre dokumentiert und wie glücklich sichin der Literatur entworfene Bilder und tatsächliche Räume miteinander verweben konnten, dazu wird es dann am 24. Juni eine szenische Lesung mit Texten von Djuna Barnes und Gertrude Stein geben.

Städte und Sprachlandschaften auch dies: Czernowitz, Bukarest, Wien und Paris – am Ende steht eine Annährerung an die Orte Paul Celans. Helmut Böttinger, Autor des gleichnamigen Buches, zeigt im Gespräch mit den Lyrikern Thomas Kling und Peter Waterhouse (25. Juni), wie widerständig und präsent diese Orte im Werk des Dichters bleiben. Orte, die sich nicht einfach übergehen lassen und an denen das Geheimnis des Gedichts offenliegt.

Elisabeth Wagner