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: Familiengeheimnisse - Lindsey Merrisons "Our Burmese Days"

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Familiengeheimnisse – Lindsey Merrisons „Our Burmese Days“

Familienhistorie ist bekanntermaßen per se ein Buch mit sieben Siegeln. Halbwahrheiten werden kolportiert, Dichtung als persönliche Wahrheit verkauft, es wird gefeilt und geflunkert. „Our Burmese Days“ ist ein Reisefilm über genau solche family secrets. War der gleichnamige Roman von George Orwell die Geschichte eines Engländers, der am kolonialen Dogma während seiner Stationierung in Burma scheitert, nimmt Lindsey Merrisons dokumentarisches Familiendrama die Gegenperspektive ein: Im Zentrum steht Merrisons Mutter Sally, eine distinguierte Endfünfzigerin, die alle gern im Glauben läßt, sie stamme aus einem Dörfchen in Wales.

Bis über ihre eigene Kindheit hinaus wußte selbst ihre Tochter nicht, daß die familiären Wurzeln eigentlich anglo-burmesisch sind und Sally diese Tatsache über Jahrzehnte eisern verbarg. Mitte der 90er machen sich Mutter, Tochter und Onkel Bill auf die Reise nach Burma, und Merrison – bisher freie Produzentin und Mitarbeiterin von Ken Loach und Jeanine Meerapfel – dreht hier ihren ersten Film. Herausgekommen ist dabei weder ein folkloristisches Spektakel noch ein betulicher Essay. Wüßte man nicht, daß die Mutter jahrelang alles Burmesische verdrängte, könnte man Merrisons 90minütige Recherche streckenweise sogar als witzige Entdeckungsreise vor laufender Kamera nehmen. Die Gespräche zwischen Mutter und Tochter werden ohne dramatischen Bombast zum roten Faden. Erstaunliches kommt zutage beim Aufspüren ganzer Stränge unbekannter Verwandter. Stets die respektvolle Distanz wahrend, läßt Merrison sie in der Erinnerung kramen. Onkel und Tanten tauchen auf, sepiabraune Familienfotos werden hervorgenestelt. „Ich habe diese asiatische Mentalität einfach nicht – wir durften damals nicht einmal Burmesisch reden, nicht mal mit den Dienern, dein Großvater hat es verboten“, beschreibt Sally den Assimilationsdruck, dem ihre binationale Familie in den 40er und 50er Jahre ausgesetzt war. Daß hinter diesem Tabu ein ganzes Land samt Kolonialgeschichte steht, ist dabei der interessanteste Fund des Films. Gudrun Holz

„Our Burmese Days“ von Lindsey Merrison. Ab heute im Klick

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