Schwankende Begriffe

■ Heißt Volkstheater, sich an das Publikum ranzuschmeißen? Ein Gespräch mit der Programmacherin und Dramaturgin Elisabeth See über die heute beginnenden Potsdamer Werkstatt-Tage des Theaters

Ein Theatertreffen: Zum elften Mal seit 1977 finden ab heute bis 9. Juni die Potsdamer Werkstatt-Tage statt. Sieben Inszenierungen aus Bochum, Dresden und Jena konkurrieren um einen Förderpreis in Höhe von 10.000 Mark. Zudem gibt es reichlich Rahmenprogramm: Das Wandertheater Ton und Kirschen gastiert, es gibt Klezmermusik, Diskussionen mit den Theatermachern und anderes mehr. Veranstaltet und getragen werden die Werkstatt-Tage vom Hans-Otto-Theater Potsdam (HOT), unterstützt von der Landesregierung. Für die Programmauswahl ist das Dramaturgenteam des HOT verantwortlich: Michael Philipps, Elisabeth See und Heike Wintz.

taz: Frau See, die Werkstatt- Tage stehen dieses Jahr unter dem Motto „VolksTheater – Theater fürs Volk“. Was verstehen Sie denn unter Volkstheater?

Elisabeth See: Wir haben bei der Auswahl der Stücke nach Projekten gesucht, die sich mit sozialen und gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, und zwar auf sinnliche, lustvolle Weise. Allerdings ist Volkstheater in der Tat ein weiter Begriff. Gut, es ist Theater für ein breites Publikum, kein Intellektuellentheater. Aber was heißt das im einzelnen? Gehört etwa auch ein Schwank zum Volkstheater?

Um genau diese Fragen soll es während der Werkstatt-Tage gehen. Nicht umsonst ist unser Ehrengast Benno Besson, der in den siebziger Jahren in der Volksbühne mit Volkstheater bekannt geworden ist. Gemeinsam mit Katharina Thalbach und Ursula Karusseit wird er am Samstag darüber diskutieren, ob und inwiefern man heute noch von Volkstheater sprechen kann; ob Volkstheater zu machen heißt, sich an das Publikum ranzuschmeißen, oder ob es spezielle ästhetische Formen dafür gibt. Ob es immer lustig sein muß oder auch tragisch sein kann.

Gehen Sie davon aus, daß Werkstatt-Tage zum Thema Volkstheater das Volk auch wirklich anlocken werden?

Wir hoffen es. Zumal wir von Besson auch die Idee übernommen haben, daß Theater nicht immer im Theatergebäude stattfinden muß. Wir stellen ein Zelt vor das Theater, sorgen für gastronomische Betreuung, und zum Ausklang gibt es dort Musik. Der Werkstatt-Gedanke soll so auch auf das Publikum überspringen, die Zuschauer sollen dazu verführt werden, nach der Aufführung nicht gleich nach Hause zu gehen, sondern sich darüber zu unterhalten.

Natürlich können Diskussionen über Theater heute nicht mehr so wichtig sein, wie sie es zu DDR- Zeiten einmal waren. Damals wollte und brauchte das Publikum dieses Forum der Werkstatt-Tage, während es heutzutage eher um den Kunstgenuß geht. Dennoch glaube ich, daß der Zulauf und die Neugier beim Thema Volkstheater größer sein werden als noch vor zwei Jahren, als es um ästhetische Mischformen auf dem Theater ging, um den Übergang von Theater- und Medienkunst, was nur einen kleinen Kreis von Leuten interessierte.

Sie haben „Sugar Dollies“ von Klaus Chatten nicht in der Erstinszenierung des Deutschen Theaters, sondern vom Hamburger Thalia Theater eingeladen. Andererseits wurde Bochum mit „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“ von Andreas Marber noch vor der Premiere nominiert. Geht es Ihnen jetzt um Inszenierungen oder um Stücke?

Um beides. Mal geht es zunächst um die Inszenierung, mal zunächst um das Stück. Wobei die Stücke nicht älter sein sollten als drei Jahre, die Inszenierungen nicht älter als zwei Spielzeiten. Für die Vergabe des Preises wird natürlich die Gesamtleistung der Arbeiten entscheidend sein. Zu den angesprochenen Produktionen kann ich sagen, daß Marbers Stück „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“ genau zu unserem Thema paßt: Ein Künstler kommt in eine Stadt, die durch soziale Misere und Ex- DDR-Alltag bestimmt ist. Kunst und Volk. Klar, daß wir da gleich die Uraufführung bei uns haben wollten. Dagegen hatten wir bei „Sugar Dollies“ die Wahl. Wir haben uns auch eine Dresdner Inszenierung angesehen, uns aber aus künstlerischen Gründen für das Thalia Theater entschieden. Die Inszenierung des Deutschen Theaters kam nicht in Frage, weil wir keine Drehbühne besitzen.

Sie haben eben den Preis angesprochen. Wer gehört denn zur Jury, und nach welchen Kriterien wird er vergeben?

Anders etwa als die Kritiker- Jury des Berliner Theatertreffens setzt sich unsere fünfköpfige Jury aus Theaterpraktikerinnen und Theatertheoretikern zusammen. Die Schauspielerinnen Simone Frost und Ursula Karusseit gehören dazu, die Autorin Kerstin Specht sowie Martin Linzer von Theater der Zeit und Peter Reichel von der Leipziger Hochschule für Musik und Theater.

In früheren Jahren haben wir bei der Preisvergabe zwischen den Stücken und ihren Inszenierungen genau getrennt. Das wollen und können wir diesmal nicht. Mit „Once“ etwa, einer Produktion der russischen Truppe Derevo, haben wir eine rein gestisch-musikalische Inszenierung eingeladen. Zum Volkstheater gehören nun mal auch viele Theaterformen, in denen der Text nicht dominiert. Interview: mb