„Friedrichstraße ist nicht benutzbar“

■ ArchitekturstudentInnen vom „Freien Fach“ erobern von einem „Anbau“ aus die Kauf- und Luxusmeile als öffentlichen Ort zurück

Seit Beginn der Innenstadt-Aktionstage am Montag befindet sich in der Mohrenstraße gegenüber dem Restaurant Planet Hollywood ein drei mal vier Meter großes und drei Meter hohes Baugerüst, der „Anbau“. Initiator dieser Provokation im öffentlichen Raum der Friedrichstraße ist die Aktionsgruppe „Freies Fach“, ein Zusammenschluß von Architekturstudenten der HdK.

taz: Das Freie Fach ist bislang durch spektakuläre Aktionen wie die Entführung einer Hamburger Touristengruppe bekannt geworden. Ist ein „Anbau“, eine provisorische Ergänzung der Friedrichstraße, dagegen nicht etwas bescheiden?

Freies Fach: Wir würden den Anbau eher als Erweiterung sehen, als Plattform, die neue Möglichkeiten, neue Räume öffnet.

Unter dem Begriff „Bau“ kann jeder etwas verstehen, das gleiche gilt für „Abbau“ oder „Rückbau“. „Anbau“ klingt dagegen eher nach Wellblechgarage.

Der klassische Anbau aus den achtziger Jahren ist natürlich aus der Mode. Das war ja die Kleinfamilien-Wintergarten-bißchen-Luxus-bißchen-Glück-Idylle, die heute dem Sozialabbau zum Opfer fällt. Das wollen wir spielerisch aber wieder einfordern.

Der kleine, kuschelige Schrebergarten inmitten der kalten, öden Friedrichstraße?

Ja.

Als Plattform ist der Anbau ja keine städtische Provokation an sich, sondern das Medium für Provokationen. Für welche?

Wir haben im Zusammenhang mit den Innenstadt-Aktionstagen verschiedene Tagesthemen. Das Motto am ersten Tag hieß „doom's day“, wo das symbolische Ende der Stadt, wie wir sie kannten, behauptet wird.

Das Ende welcher Stadt?

Das Ende der Stadt als gemeinsames Lebensmodell, als Ort der politischen Auseinandersetzung, als öffentlicher Ort. Gerade in der Friedrichstraße erkennt man das nicht mehr wieder. Das ist der Ort des Privatbesitzes, des Konsumzwangs und der Ausgrenzung.

Wer reagiert auf eure Provokationen?

Bisher reagieren am heftigsten die Besitzer, Betreiber und Manager des von Oswald Mathias Ungers gebauten Quartiers 205. Die kommen alle fünf Minuten rüber und fragen, was wir dort machen. Ob das in Ordnung sei, daß wir auf dem Gehsteig einen Klebestreifen anbringen, ob wir überhaupt hier anwesend sein dürften. Dann gibt es auch Mieterbeschwerden aus den Dachgeschossen des Ungers- Baus.

Es geht euch also um ein unmittelbares Verhältnis zwischen Provozierenden und Provozierten. Schließlich ist der Publikumszuspruch für die Anbau-Aktion weitestgehend auf das Freie Fach, sprich die Akteure und ihre Fan- gemeinde, beschränkt.

Widerspruch. Am Montag abend bei der Eröffnungsparty waren über vierzig Leute da.

Also Akteure und Fans.

Falsch. Der Sieger des Penny- Markt-Tüten-Füllens, also jenes Wettbewerbs, bei dem es darum ging, eine Einkaufstüte in der Friedrichstraße mit möglichst wenig Geld vollzukaufen, war uns völlig fremd.

Ein Pressevertreter vermutlich.

Nein, kein Pressevertreter. Ein Passant, der seinen gesamten Gewinn einer Obdachlosenzeitung zur Verfügung gestellt hat.

Wie erleben Sie die Friedrichstraße, nun, da Sie diesen Ort vermutlich zum erstenmal ernsthaft benutzen?

Eigentlich kann man die Friedrichstraße gar nicht benutzen. Vor langer Zeit bin ich dort einmal mit dem Skateboard durchgefahren und hatte das Gefühl, daß so etwas dort nicht vorgesehen ist.

Für Rollerblades ist der Straßenbelag hervorragend geeignet.

Nutzung heißt aber, auch in anderer Weise handeln zu können. In der Friedrichstraße kann man nicht handeln. Man wird in jedem Moment in einen Verkaufszusammenhang integriert.

Wie geht der Anbau weiter?

Wir werden versuchen, mit dem Gebäudemanager des Ungers- Baus in Kontakt zu bleiben. Außerdem wird am Freitag ein Wettbewerb entschieden, bei dem die Teilnehmer Gebäudeteile aus der umliegenden Umgebung zusammentragen sollen. Danach findet die Abschlußparty statt. Interview: Uwe Rada