Gegen den Sauberkeitswahn was Politisches

Nächtens ziehen Sprayertrupps durch die Straßen und hinterlassen politische Tags an Fassaden und Scheiben: „Gebt Schönbohm keine Chance.“ Die Ladenbesitzer in der Friedrichstraße putzen sofort gegen „die Sauerei“ an  ■ Von Jens Rübsam

In der Nacht von Sonntag auf Montag waren sie losgezogen. Sie hatten die Spraydosen aus ihren Taschen geholt – und losgelegt. Wenig später war am Bürohaus Friedrichstadt, Mohrenstraße 53, „Eat the rich 2.6.“ zu lesen – lang und quer, an Scheiben und Fassaden und in satten Farben. Der Herr vom Objekt-Management tobte. Mit der taz wolle er nicht reden. Er sagt: „Diese Schmierereien sind die Taten von geistig Minderbemittelten, von Querulanten.“ Das Zeug sei nicht mal Kunst, nur eben eine große Sauerei. Zitiert werden freilich will er nicht. Das Zeugs sei auch schon ab. Gleich in der Früh am Montag morgen beseitigt worden. „Natürlich sofort!“ schreit der Herr ins Telefon.

Die autonomen Sprayer waren weitergezogen. Die Friedrichstraße hinunter, bis zum Atrium an der Ecke Leipziger Straße. Sie hatten wieder ihre Spraydosen ausgepackt und losgelegt. Diesmal den noblen Muschelkalkboden und unter den Versalien ATRIUM die Wand besprüht. An die Wand: „Eure Armut kotzt uns an 2.6.“; auf den Boden: Irgendein Wort mit „F“ am Anfang und eines mit „Rei“ am Anfang. „Wir haben versucht, das gleich zu beseitigen“, sagt Herr Frenzler, der Atrium- Hauswart, ganz sachlich. Gleich am Montag morgen, nachdem man „das“ bemerkt habe. Jetzt ist nur noch zu erahnen, was die Autonomen gesprüht haben. Über den Boden zieht sich ein fast unsichtbarer grüner Schleier, auch die Hauswand ziert nur noch ein blaßgrüner Schriftzug. „430 Mark kostet uns die Beseitigung und Neubeschichtung“, sagt Herr Frenzel. Neubeschichtung? „Ein Anti-Graffiti- Schutzfilm wird aufgebracht.“

Der weitere Weg der autonomen Sprüher ist nicht genau nachzuzeichnen. Am Springer-Hochhaus in der Kochstraße war kurze Zeit zu lesen: „Enteignet Springer 2.6.“ Am Bezirksamt Kreuzberg: „Gebt Schönbohm keine Chance. Die Dreckspatzen schlagen zurück 2.6.“ Erst gestern entdeckten die Bezirksämtler den Spruch. „Er wird gleich entfernt“, versichert ein Pressesprecher gemächlich. „Wir haben das Graffito zuerst ja gar nicht bemerkt.“

Kleinere Graffiti am Finanzamt Kreuzberg; größere im Kiez, in SO36, in Friedrichshain, am Ludwigkirchplatz, in Mitte und in Prenzlauer Berg. Dem ausgerufenen Sauberkeitswahn der Senatoren Strieder und Peschel-Gutzeit (beide SPD), Schönbohm und Klemann (beide CDU) wollten die zwanzig Sprühergruppen, die zwei Nächte unterwegs waren (noch einmal in der Nacht von Montag auf Dienstag), etwas entgegensetzen. Nicht irgendwas, sondern etwas Politisches. Das unterschied die Aktion von anderen.

Im Februar hatte der Senat das Aktionsprogramm „Sauberes Berlin“ beschlossen. 25 Millionen Mark sollten dafür lockergemacht werden. Allerdings hatte der Senat vergessen, um die Freigabe der Mittel zu ersuchen. Anfang April gründete sich ein „Initiativkreis“ aus Senatsverwaltungen, Bezirksbürgermeistern, Verkehrsunternehmen und privaten Unterstützern. Der „Erfolg“: Die Stadtreinigungsbetriebe dürfen nun die notwendigen Maschinen anschaffen, um Hundekot auf den Straßen zu beseitigen. Alles so selbstverständlich, als ob es nichts Wichtigeres in der Stadt gäbe.

Es gibt Wichtigeres: zu protestieren gegen selbsternannte Meister Propper. Wenn nötig, auch mit Graffiti.