■ Spiel mit dem Stil der Zeit: Schwule Sauna-Lyrik
: Fortgeführte Versmaßlosigkeit

Es gehört zu den vornehmeren Aufgaben der Journaille, bisweilen Nebensachen ins rechte Licht zu rücken, die keine Rolle spielen in der Vorstellung jener, die keine Ahnung haben. Sprechen wir also von Sauna-Lyrik.

Irgendein Lifestyle-Blatt hat einmal hinausposaunt, in Schwulen-Saunen gehe man im undurchsichtigen Dampf türkischer Bäder einander an die nicht vorhandene Wäsche. Das ist richtig. Die Zeitgeistfibel Tempo kolportierte ihrerzeit zudem ein Bonmot Georg Ueckers, des Carsten Flöter aus der Lindenstraße: „Schwule überhöhen die Dinge, sie entdecken eine Schönheit in scheußlichen Dingen, sie spielen mit dem Geschmack und dem Stil ihrer Zeit.“ – Sprechen wir also von schwuler Sauna-Lyrik.

Die von mir bisweilen (beruflich) frequentierte Treibhaus- Sauna in Berlin hat nur zwei echte Nachteile: Die Automatikduschen, die immer nur dann angehen, wenn man weggeht, weil kein Wasser rauskommt, und die versuchsweise lyrischen Handlungs- und Unterlassungsanweisungen. Daß man das Tauchbecken nicht verunreinigen möge, liest sich dort etwa so: Willst Du in das Becken rein/ mußt Du vom Duschen sauber sein. Und am Whirlpool: Mensch Junge, komm bleib cool/ Bumsen und pullern ist verboten im Pool.

Klar, daß derartige Versmaßlosigkeit mit Fortführung belohnt werden muß. Es gelang mir und meiner metrisch versierten Begleitung, die arg prosaische Vorschrift „Benutzung max. 10 Personen“ in einem feingewobenen Zweizeiler zu voller Blüte zu bringen: Diesen Whirlpool, sollst Du schonen/ Benutzung maximal 10 Personen. Wie es Dichtern oft zu Lebzeiten widerfährt, rühmte das Publikum mein Werk nicht im geringsten. Unbewegt blieben die angestrengt entspannten Mienen der anderen Whirlpoolnutzer. Dem in punkto Homo-Saunen unverbildeten Leser sei als Interpretationshilfe an die Hand gegeben, daß die schäumende Wasseroberfläche so manchem als Sichtbarriere dient. Will sagen: Den meisten Anwesenden war gerade nicht so nach geistigen Genüssen. Lediglich ein bleicher Jüngling mit Brille, mutmaßlich Germanistikstudent und unter der Wasseroberfläche unterbeschäftigt, ließ sich zu einem schüchternen Lächeln bewegen, ja, er wagte sogar eine eigene kleine Veröffentlichung. Zum Stoff erkor er sich den Hinweis, man möge sich auf den glitschigen Whirlpooltreppenstufen am Handlauf sichern. Allein, er hatte die Rechnung ohne den Wirt, genauer: die erste Zeile ohne eine tragfähige Konzeption der zweiten gemacht: Steigst Du die Treppen zum Whirlpool hinauf/ benutze doch äähm, äh – den Handlauf. Da stieg dem Armen die Röte ins Gesicht. Vielleicht hatte man ihm just in diesem Moment unter Wasser einen Antrag gemacht. Wahrscheinlich aber berührte ihn unangenehm, sein Frühwerk einem sehr kritischen Publikum vorgestellt zu haben.

Überhaupt: Die Rutschgefahr in den Naßbereichen. Einmal schlug ich – ausgeglitten – mit dem Allerwertesten auf dem Rand einer Antirutschmatte auf und trug eine blutende Wunde davon. Dieser entwürdigende Vorfall wäre mir erspart geblieben, hätte der Treibhaus-Betreiber nicht ganz so ungereimt darauf hingewiesen, daß er für alkoholisch bedingte Unfälle nicht haftet. Für den guten Zweck spende ich hiermit folgendes Hinweispoem: Brichst Du nach zuviel Biergenuß/ Dir stürzend Hand, Steiß oder Fuß/ bedenk: Für der Besucher Leiber/ haftet niemals: der Betreiber!

Darf ich noch wen grüßen? Ich grüße Arne aus Hamburg, die kongeniale Muse im Whirlpool. Und dann grüße ich noch alle, die uns an jenem Abend kennengelernt haben. Holger Wicht