Nichts wie weg!

Das Halbfinale der French Open findet erstmals seit 1986 ohne die eilig entfleuchte Steffi Graf statt  ■ Aus Paris Karl-Wilhelm Götte

Steffi Grafs Gesicht sprach Bände. Das blanke Entsetzen war dort abzulesen. Wie bei ihrem 0:6, 1:6-Debakel in Berlin führte ihre Angstgegnerin Amanda Coetzer im Viertelfinale von Paris nach zwei Breaks schon wieder mit 4:0. Mit 6:1 ging der Satz weg, Graf begann zu kämpfen, dachte sicherlich daran, daß sie schon viele Spiele leicht herumgedreht hat. Zweimal schaffte sie ein Rebreak, um ihren Aufschlag dann doch zum 4:6 und Matchverlust abzugeben. Ein Halbfinale ohne Steffi Graf bei den Internationalen Französischen Meisterschaften gab es schon seit 1986 nicht mehr, und, noch bemerkenswerter, durch den 3:6, 6:2, 7:5-Sieg von Monica Seles in ihrem Viertelfinale gegen Mary-Joe Fernandez verdrängt die ehemalige Jugoslawin die Deutsche von Rang 2 der Weltrangliste. Erstmals seit zehn Jahren gehört Steffi Graf nicht mehr zu den beiden besten Tennisspielerinnen der Welt.

64 leichte Fehler von Graf, 31 mehr als ihre Gegnerin, konnten keinen anderen Ausgang zur Folge haben. In wenigen Sekunden packte die Verliererin ihre Sachen zusammen und drängte Amanda Coetzer, die sicherlich ihren Triumph noch gern ein wenig ausgekostet hätte, zum schnellen Verlassen des Platzes. Steffi Graf wollte nur noch weg von der Stätte des Grauens. „Ich setze mich jetzt sofort ins Auto und fahre nach Hause“, sagte sie am Ende der Pressekonferenz. Die Ehrung der „Besten Spielerin 1996“ beim „Diner des Champions du Monde 1996“ fand – wie bei den Männern, wo Pete Sampras fehlte – ohne Preisträgerin statt. Alles mußte blitzschnell gehen. Fünf Minuten nach ihrer Niederlage, offenbar ohne zu duschen, erledigte sie bereits ihren Pflichtauftritt vor den Journalisten. Wenn sie gewinnt, und daß ist nach wie vor die Regel, läßt sie sich bis zu ihrem Presseauftritt gern eine Stunde Zeit.

Ruhelos und nervös war die Gewinnerin von 21 Grand-Slam-Titeln auch während des Matches. Selbst in der Regenpause während des zweiten Satzes konnte sich die Titelverteidigerin in Paris nicht beruhigen („Ob im Sitzen oder im Liegen, es klappte einfach nicht“) und auf ihre Stärken konzentrieren. „Mir fehlte jegliches Selbstvertrauen auf dem Platz – der Glaube an meine Schläge“, war sich Steffi Graf sicher. Die Erfahrung von 15 Jahren Profitennis nützte der beinahe 28jährigen offenbar nichts. Wenn die Psyche nicht stimmt und dann auch noch die Tagesform nicht paßt, verliert auch eine Steffi Graf, und das, wie es scheint, immer öfter.

Niederlagen basieren für die Deutsche nur auf dem eigenen Unvermögen, und sie zerfleischt sich förmlich in Selbstkritik. Zur Kenntnis zu nehmen, daß Gegnerinnen an bestimmten Tagen einfach besser sind, gelingt ihr nicht. Amanda Coetzer war es im Viertelfinale allemal. Sie dominierte bis auf wenige Ausnahmen das Spiel. Die Matchstatistik spricht da eine eindeutige und objektive Sprache. Die 25jährige Südafrikanerin brachte Graf deshalb die einzigen drei Niederlagen in diesem Jahr bei, weil sie ihr „gesamtes Spiel stark verbessert hat“, so die richtige Selbsteinschätzung von Amanda Coetzer. Natürlich macht sie wenige Fehler, hält den Ball im Spiel und riskiert nur dann einen Angriffsball, wenn es für sie Sinn macht, also höchst selten. Bloß, Steffi Graf deklassierte sie damit innerhalb von drei Wochen gleich zweimal.

Die Deutsche erlebt bis heute jedes verlorene Spiel auf dem Tennisplatz als persönliche Tragödie. Die faire Wertschätzung einer besseren Gegnerin wie Amanda Coetzer findet nicht statt. So ist ihre Berufsauffassung, ihr großer Ehrgeiz scheint nach 836 gewonnenen Spielen seit 1983 längst noch nicht gestillt. Etwas mehr Menschlichkeit stünde ihr endlich gut zu Gesicht und vor allem mehr Größe in der Niederlage – einfach mehr souveräne Akzeptanz, lediglich ein Tennismatch verloren zu haben.

Der Weg scheint nun frei für Martina Hingis, die im Viertelfinale der zweimaligen Paris-Siegerin Arantxa Sanchez-Vicario mit 6:2, 6:2 keine Chance ließ. Die gebürtige Slowakin – mit sieben Jahren siedelte sie in die Schweiz über – kam nach einem Sturz vom Pferd vor sieben Wochen und einem Kreuzbandanriß im linken Knie ohne Wettkampfpraxis und mit großem Trainingsrückstand nach Paris. Die 17jährige steigert sich von Spiel zu Spiel und ist bereits wieder bei dieser konkurrenzlosen Leichtigkeit des Lächelns angelangt, die sie von Steffi Graf unterscheidet. Gegen ihre Halbfinalgegnerin Monica Seles peilt sie 1997 ihren 37. Sieg in Folge an. Der Rekord von Steffi Graf mit 45:0 könnte fällig sein.

Das andere Halbfinale bestreiten heute die Kroatin Iva Majoli und Amanda Coetzer, der Steffi Graf nicht einmal eine Chance gibt, das Turnier zu gewinnen. „Sie klebt zu sehr an der Grundlinie, das wird kaum reichen“, meint sie. Aber sie täuscht sich immer öfter.