Theo so klug wie zuvor

Die Koalition hat einen Kompromiß mit der Bundesbank, aber keine Lösung ihrer Probleme gefunden  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß wir die Probleme meistern werden“, sagte Helmut Kohl in der gestrigen Debatte des Deutschen Bundestages. Rauschender Beifall, der nicht enden wollte, belohnte den Bundeskanzler für seine Zuversicht. Im Zeichen von Koalitionskrise und Haushaltslöchern, im Chaos von Informationen und Dementis, angesichts harscher Kritik des Auslands und vernichtender Umfrageergebnisse scheint es das letzte zu sein, was den Abgeordneten des Regierungslagers geblieben ist: die Hoffnung auf einen Fels in der Brandung.

Vorher hatte Kohl über die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands gesprochen und über die Notwendigkeit, eine gemeinsame Lösung zu finden. „Das heißt im Klartext“, sagte er gleich zweimal in seiner Rede und hob die Stimme. Beide Male stieg die Spannung so hoch, daß es ganz still wurde im Plenum. Aber dann erklärte der Bundeskanzler doch nur, daß der Haushalt im Hinblick auf die planmäßige Einführung des Euro betrachtet werden müsse und daß jetzt über die finanziellen Voraussetzungen dafür zu reden sei. Die Kriterien würden auf jeden Fall eingehalten. Konkreter wurde er nicht.

Finanzminister Theo Waigel schwieg sich ebenfalls darüber aus, wie er im einzelnen zu Geld kommen will. Auch Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble beschränkte sich im wesentlichen auf Beschwörungsformeln: „Wir haben eine gute wirtschaftliche Entwicklung, und wir werden auch eine Trendwende am Arbeitsmarkt erreichen.“ Das „bemühte Pflichtplädoyer eines Verteidigers in einem aussichtslosen Fall“, nannte Joschka Fischer von den Bündnisgrünen diese Rede.

Unterdessen läßt sich die Halbwertszeit von Informationen über Wirtschafts- und Finanzplanung eher nach Stunden als nach Tagen oder gar Wochen berechnen. Am Dienstag noch war gemeldet worden, Finanzminister Theo Waigel und Bundesbankchef Hans Tietmeyer hätten sich im Streit um die Neubewertung der Goldreserven auf einen Kompromiß geeinigt. Gestern früh teilte dann ein Sprecher der Bundesbank mit, der Konflikt sei noch nicht beigelegt. Es gebe aber „ernsthafte Bemühungen um eine Einigung“. Wenige Stunden später zitierte schließlich Helmut Kohl Äußerungen von Tietmeyer, denen zufolge der das Dementi seines eigenen Hauses wiederum dementierte.

„Wie weit ist es eigentlich mit Ihrer Selbstachtung, daß Sie sich gestern vom Finanzminister mit einer Erklärung bedienen lassen, die er heute korrigieren muß?“ fragte SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping, an die Parlamentarier der Union gewandt. Von denen blickten die meisten starr vor sich hin, bewegungslos auf ihren Plätzen festgebannt.

Das politische Klima in Bonn hängt mindestens ebensosehr von der seelischen Befindlichkeit jedes einzelnen Abgeordneten ab wie von nüchternen Fakten. Die Nachricht von einer Einigung im Goldstreit erschien vielen der gebeutelten Parlamentarier als erster Silberstreif besserer Zeiten am Horizont.

„Die Fraktion war froh, daß die Kuh mit der Bundesbank vom Eis war“, meint ein CDU-Abgeordneter. „Das Bedürfnis, danach noch weiter zu diskutieren, war gering ausgeprägt.“ Die Stimmung sei „erst sehr gespannt, dann sehr gelöst“ gewesen, schilderte ein anderer Teilnehmer die Fraktionssitzung vom Dienstag. „Es gab so das Gefühl: Das ist o.k., das ist die Lösung.“

Wie sollte denn diese Lösung nun konkret aussehen? „Waigel kriegt das Geld erst 98 ausbezahlt, es wird aber schon für 97 für die Bilanz berechnet.“ Für welche Bilanz? Für den Staatshaushalt? „Ja, so habe ich das verstanden. Oder nein, warten Sie, für die Bilanz der Bundesbank. Also, ich bin kein Haushälter. Nach den Details müssen Sie jemand anders fragen.“ Der Hinweis, man sei selbst kein Experte für Finanzfragen und Haushaltspolitik, ist in diesen Tagen in Bonn oft zu hören. Tiefe Ratlosigkeit scheint auch viele Abgeordnete des Regierungslagers angesichts der immer tiefer klaffenden Löcher im Etat zu erfassen. Da ersetzt dann Vertrauen in die Führungsspitze das offensive Einstehen für den eigenen Kurs, den bislang ja noch keiner so genau kennt.

Die erneute Kandidatur von Helmut Kohl für das Amt des Bundeskanzlers ist in der Union auch nach den letzten Wochen weiter unumstritten. Vielleicht hat er sogar jetzt noch weniger interne Gegner als vorher. Käme es zu vorgezogenen Wahlen, dann müßte nicht nur die FDP ums parlamentarische Überleben bangen, auch zahlreichen Hinterbänklern der Union drohte der Verlust ihres Mandats. „Wenn man die Karriereplanung hinter sich hat, dann geht's einem jetzt vielleicht besser“, spöttelte Postminister Wolfgang Bötsch (CSU) am Dienstag auf dem Weg zur Fraktionssitzung gegenüber Journalisten. Sein Ministerium wird zum Jahresende aufgelöst.

Die zerstrittenen Partner der Regierungskoalition achten sorgfältig darauf, einander öffentlich so pfleglich wie möglich zu behandeln. Nach mehr als dreißig Jahren wirkt noch immer der Schock von 1966 nach: Damals war das Regierungsbündnis zwischen Union und FDP an einem Streit um weniger als fünf Milliarden Mark zerbrochen. Kaum ein Gespräch mit einem Abgeordneten des Regierungslagers, in dem nicht die Erinnerung an damals wachgerufen wird.

„Die Koalition geht nicht kaputt“, zeigt sich Heiner Geißler (CDU) überzeugt. „Wir wissen, daß es eine ernste Situation ist. Aber es gibt einen starken Willen, an der Koalition festzuhalten und das Regierungsmandat bis zu den Wahlen wahrzunehmen“, meint auch Norbert Geis (CSU). Könnte das mit den derzeit vernichtenden Umfrageergebnissen für die Regierung zusammenhängen? „Ich bin sicher, daß die Umfrageergebnisse auch wieder besser werden.“

Wie läßt sich das erreichen? Um Steuererhöhungen käme man nicht herum, räumen CDU-Abgeordnete ein, die gleichzeitig ihrem Ärger Luft machen: So gehe es ja nun auch nicht, daß die FDP sich als Steuersenkungspartei profiliere und alle unpopulären Entscheidungen an der Union hängenblieben. Fraktionschef Wolfgang Schäuble scheint das ähnlich zu sehen: Gestern wurde gemeldet, daß sich nun auch er gegen Steuererhöhungen ausgesprochen hat.

„Wir sind keinen Schritt weiter als vor drei Wochen, als die Steuerschätzung herausgekommen ist“, sagt Peter Altmaier, der zu den „jungen Wilden“ der CDU gezählt wird. „Was mich ärgert, ist, daß wir uns in dieser Sache von Termin zu Termin hangeln und nicht die Kraft haben, uns zu tragfähigen Entscheidungen durchzuringen.“

Was bleiben denn noch für Optionen? In der Fraktionssitzung der Union wurde die Möglichkeit erwogen, mit der Feststellung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts den Weg für die Neuaufnahme von Krediten freizumachen. Da soll Helmut Kohl ganz heftig den Kopf geschüttelt haben. Er versprach einen verfassungskonformen Haushalt für 1998.

Aber für vieles, was Geld bringen könnte, wird die Zustimmung der SPD-Länder im Bundesrat gebraucht. Noch allerdings scheint die Phantasie der Koalitionspolitiker nicht am Ende zu sein. FDP- Generalsekretär Guido Westerwelle hat jetzt zum Ausgleich des Defizits einen Abbau der deutschen Rohölreserven vorgeschlagen. Öl ist flüssiges Gold.